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#Risikofreude zeigt sich im Gehirn

Risikofreude zeigt sich im Gehirn

Die Tendenz zu einer erhöhten Risikobereitschaft zeigt sich sowohl in den Genen als auch im Gehirn. Das haben Wissenschaftler mittels Hirnscans und Verhaltensdaten von über 25.000 Menschen herausgefunden. Risikofreudige Personen weisen demnach weniger graue Substanz in Hirnbereichen wie der Amygdala, dem ventralen Striatum und dem Hypothalamus auf. Zudem zeigen Genanalysen, dass bestimmte Genvarianten ebenfalls mit verringerter grauer Substanz und riskantem Verhalten assoziiert sind. Allerdings lässt sich nur ein kleiner Teil des Verhaltens anhand der Gene erklären.

Warum übertreten manche Menschen häufig das Tempolimit, haben Sex mit wechselnden Partnern oder geben sich exzessiven Alkohol- oder Tabakkonsum hin? Verhaltensweisen wie diese werden von vielen als reizvoll angesehen, sind aber riskant. Denn sie können schädliche gesundheitliche, soziale und finanzielle Folgen für den Einzelnen und die Menschen in seiner Umgebung haben. „Menschen haben eine unterschiedlich starke Neigung dazu, sich auf Verhaltensweisen einzulassen, die ihre Gesundheit gefährden oder die mit Unsicherheiten für die Zukunft verbunden sind“, sagt Gideon Nave von der University of Pennsylvania.

Risikoscheu durch mehr graue Zellen?

Gemeinsam mit einem Team um Gökhan Aydogan von der Universität Zürich ist er dem Ursprung dieser Risikofreude auf den Grund gegangen. Dazu nutzten die Forscher einen umfangreichen Datensatz aus der UK Biobank, einer Langzeitstudie in Großbritannien, die Gesundheits- und Verhaltensdaten von rund 500.000 Freiwilligen enthält. Für den ersten Teil der Studie analysierten Aydogan und Kollegen Hirnscans von über 12.000 Personen. Diese glichen sie ab mit Angaben, die diese Personen über ihr persönliches Risikoverhalten gemacht hatten, also über Alkohol- und Zigarettenkonsum, sexuelle Promiskuität und zu schnelles Autofahren.

Das Ergebnis: Personen, die sich besonders riskant verhalten, wiesen in einigen Hirnarealen durchschnittlich weniger graue Substanz auf. Bei dieser handelt es sich um die Teile des zentralen Nervensystems, die sich aus den Zellkörpern der Neuronen zusammensetzen. Verantwortlich ist die graue Substanz für die grundlegenden Funktionen des Gehirns, einschließlich Muskelkontrolle, sensorische Wahrnehmung und Entscheidungsfindung. Die lokalen Unterschiede im Volumen dieser Hirnsubstanz blieben bestehen, wenn die Forscher andere Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht und Gesamtgröße des Gehirns herausrechneten. Mit einem zusätzlichen, unabhängigen Datensatz von 13.000 weiteren Personen bestätigten Aydogan und Kollegen den Befund.

Unterschiede in vielen Gehirnregionen

Außerdem untersuchte das Forscherteam, welche spezifischen Hirnregionen den stärksten Zusammenhang zwischen Risikobereitschaft und reduzierter grauer Substanz aufwiesen. „Wir haben herausgefunden, dass es nicht nur eine Gehirnregion gibt, die das ‚Risikogebiet‘ ist“, sagt Nave. Stattdessen stellten die Forscher Assoziationen mit verschiedenen Hirnregionen fest, darunter mit der Amygdala, die zum Beispiel die emotionale Reaktion auf Gefahren steuert, und mit dem ventralen Striatum, das bei der Verarbeitung von Belohnungen aktiv wird. Abweichungen zeigten sich auch im Hypothalamus, der vegetative Körperfunktionen durch die Ausschüttung von Hormonen wie Oxytocin und Dopamin steuert, im Hippocampus, der am Abspeichern von Erinnerungen beteiligt ist und im dorsolateralen präfrontalen Cortex, der ein wichtige Rolle bei Selbstkontrolle und kognitivem Abwägen spielt.

Zu ihrer Überraschung stellten die Wissenschaftler sogar anatomische Abweichungen im Kleinhirn fest, das bisher vorwiegend mit motorischen Funktionen in Verbindung gebracht wurde. Dass diese Hirnregion auch an Kognition und Entscheidungsfindung beteiligt sein könnte, wurde zwar vermutet, aber wissenschaftlich bisher unterschätzt. „Es scheint, als würde das Kleinhirn in Entscheidungsprozessen wie dem Risikoverhalten dennoch eine wichtige Rolle spielen“, so Aydogan. „Im Hirn von risikobereiteren Personen fanden wir weniger graue Substanz in diesen Arealen. Wie diese graue Substanz das Verhalten beeinflusst, muss allerdings noch untersucht werden.“

Geringfügiger Einfluss der Gene

Zusätzlich beschäftigten sich die Forscher damit, inwieweit sich eine mögliche genetische Veranlagung für das Risikoverhalten in der Neuroanatomie wiederfindet. „Das ist nicht einfach zu machen“, sagt Co-Autor Philipp Koellinger von der Freien Universität Amsterdam. „Wir wissen, dass die meisten Verhaltensmerkmale eine komplexe genetische Architektur haben, mit vielen Genen, die kleine Effekte haben.“ Um diesem Problem zu begegnen, entwickelten die Forscher aus einer separaten Teilnehmergruppe von fast 300.000 Menschen einen sogenannten polygenen Risikoindex, für den sie die Auswirkungen vieler Genvariationen berücksichtigten, die mit riskantem Verhalten in Verbindung gebracht werden.

Wie die Forscher feststellten, ließ sich jedoch nur ein kleiner Teil des Risikoverhaltens mit dem genetischen Risikoindex in Verbindung bringen. Auch zu Veränderungen der Hirnanatomie in bestimmten Bereichen fanden sie zwar Assoziationen, diese machten aber nur etwa 2,2 Prozent der genetischen Disposition zu riskantem Verhalten aus. Nach Ansicht der Forscher deutet das darauf hin, dass die Gene das Risikoverhalten nicht primär durch ihren Einfluss auf die graue Hirnsubstanz, sondern über andere Mechanismen unterstützen. Überdies sei es schwierig, den Einfluss der Gene überhaupt von Umwelteinflüssen zu trennen.

Nave betont: „Man muss bedenken, dass es familiäre, umweltbedingte und genetische Effekte gibt, und es gibt auch die Korrelation zwischen all diesen Faktoren. Selbst das, was ein genetischer Effekt zu sein scheint, könnte in Wirklichkeit ein Erziehungseffekt sein, weil man die Gene seiner Eltern erbt und zugleich durch ihr Verhalten geprägt wird.“ In weiteren Studien wollen die Forscher das Zusammenspiel von Genen, Hirnanatomie und Verhalten genauer untersuchen. „Unser ultimatives Ziel ist es, all diese Beziehungen zu entwirren und die kausalen Zusammenhänge zu identifizieren“, sagt Nave.

Quelle: Gökhan Aydogan (Universität Zürich) et al., Nature Human Behavior, doi: 10.1038/s41562-020-01027-y

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