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Schneeflimmern

Irgendwie hatten sie es dann tatsächlich noch in diese letzte Gondel des Tages geschafft. Das war um zwanzig vor vier, die Nacht hatte die Dämmerung schon fast vertrieben. Es war kalt, und die Schneeflocken flogen senkrecht durch die Luft. Sie waren erschöpft, die Skistiefelschnallen der Kinder standen noch offen, die Rucksäcke waren eiligst gepackt, und was alles fehlte, würde sich erst oben, auf der Hütte, zeigen. Die Hütte! Darum war es gegangen in diesem Wettlauf im Schneesturm, dass sie es irgendwie noch auf die Hütte schaffen. Sie schauten durch die schneekristallbesetzten Schiebefenster, dunkle Tannen zogen vorbei, Flocken wirbelten wild durcheinander und verschwanden im Schwarz der Nacht. Gedanklich waren sie schon beim Abendessen in der kaminbeheizten Stube. Doch dann: ein Ruckeln, ein Ächzen. Und die Bahn stand. Die Kabine schwankte sanft aus. Keiner sagte etwas, bis eine Kinderstimme die Frage formulierte, die allen durch den Kopf ging: „Haben die uns vergessen?“

Andreas Lesti

Andreas Lesti

Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

Es war der 27. Dezember vor genau einem Jahr. Erst? Schon? Damals fuhr man nach den Feiertagen einfach nach Österreich in ein Skigebiet, um auf einer Berghütte mit anderen Menschen ein paar Tage im Schnee zu verbringen. Doch nun, da alles dicht und sogar Tirol unerreichbar weit weg ist, klingt es wie eine Erzählung aus einer anderen Epoche, wie eine Expedition unserer Vorfahren. Und irgendwie war es das ja auch, eine Expedition durch Nacht und Schnee, mit ungewissem Ausgang. Ein bisschen wie in Adalbert Stifters „Bergkristall“, jene Erzählung, in der zwei Kinder an Weihnachten eine Nacht im Schneesturm am Berg überstehen müssen. Aber dann auch wie in diesem Horrorfilm, in dem ein paar junge Menschen im Lift vergessen werden und am Ende mit gebrochenen Beinen im Schnee liegen und von Wölfen gefressen werden. Das waren so die Gedanken in der stehenden Gondel. Sie schwankte im Sturm hin und her. Ein Blick aufs Telefon. Ein Balken, 23 Prozent Akku. Ein Blick nach unten. Definitiv zu hoch zum Springen.

„Nein, das schafft ihr nicht mehr“

Etwa drei Stunden zuvor war ihnen auf der Autobahn zum ersten Mal in den Sinn gekommen, dass es knapp werden könnte. Im Stau auf dem Münchner Ring zeigte das Navi plötzlich eine beunruhigende Ankunftszeit an. Aber, nein, das schaffen wir schon. Doch als sie anderthalb Stunden später im strömenden Regen und im Schritttempo über die österreichische Grenze fuhren, da war ihnen dann doch klar, dass sie ein Problem hatten. Der Anruf beim Hüttenwirt war eher ernüchternd: „Nein, das schafft ihr nicht mehr.“ „Nein, zu viel Schnee und viel zu gefährlich.“ „Nein, die Titanic wird sinken.“ Bei diesem Menschenschlag – Hüttenwirte, Bergführer oder Schiffskapitäne – merkt man dann doch schnell, wie ernst er es meint und ob es da noch Verhandlungsspielraum gibt. Gab es nicht.

Und so begannen sie, nach einer Unterkunft im Tal zu suchen. Da klingelte das Telefon. Es war noch mal der Hüttenwirt. Eine einzige Möglichkeit gäbe es. „Wenn ihr es bis 15.30 Uhr nach Westendorf schafft“, erklärte er, „dann könnt ihr von dort mit der Alpenrosenbahn hinauffahren, dann bis zur Fleidingeralm abfahren, und dort kann ich euch mit meinem Motorschlitten abholen.“ Es ist so: Die Hütte befindet sich auf der Rückseite eines riesigen Berges, von dort muss man nur mit einer Bahn hoch fahren, um sie zu erreichen. Das war ihr Plan. Doch dazu hätten sie eine halbe Stunde lang um den Berg herum fahren müssen. Und diese halbe Stunde hatten sie nicht mehr. „Ihr müsst euch immer links halten, ihr dürft auf der Piste auf keinen Fall falsch abbiegen“, fügte der Hüttenwirt noch hinzu, und es klang wirklich ernst. 15.27 Uhr sagte das Navi zur Ankunftszeit in Westendorf. Sie atmeten tief durch und sagten: „Ja, das sollten wir schaffen.“

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