Nachrichten

#Sehen und Wegschauen

Inhaltsverzeichnis

Sehen und Wegschauen

Zu Lebzeiten war Gregor Aigner (Jonathan Fetka) als Verschwörungsspinner bekannt. Ständig einer großen gefährlichen Sache auf der Spur, was ihm bei der Zeitung die Kündigung einbrachte. Von da an ging es bergab. Alkohol, Scheidung, Obdachlosigkeit – und immer weiter manisches Arbeiten an seinem „Freigeist“-Blog. Jetzt liegt er tot im Dreck eines verlassenen Fabrikgebäudes. Ein „Nullachtfünfzehn-Mord“, wie Oberst Ernst Rauter (Hubert Kramar), der Vorgesetzte von Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer), schätzt. Sicher ein Streit unter Berbern, bloß keine Umstände, schon gar keine Überstunden.

Aber die Umstände sind nicht von der Hand zu weisen. An der Kleidung des Toten findet sich Crystal Meth, bei seinem kargen Besitz liegen große Mengen Psychopharmaka. Die Lebensversicherung soll Tina (Maya Unger) zufallen, einer jungen Frau ohne festen Wohnsitz, die mit Gregor und dem Kleindealer Indy (Michael Steinocher) eine Zweckgemeinschaft bildete. Was Bibi zunächst verschweigt: Gregor war ihr Informant, bis er immer wirrere Räuberpistolen auftischte. Erst vor einer Woche hat er sie kontaktiert und von Entführungen fabuliert. „Durch Aliens?“ fragen die Kollegen.

Dieses Mal führt der „Tatort“ aus Wien nicht in die Skandalpolitik und nicht zu kriminellen Konzernmachenschaften, sondern zu „den unteren Zehntausend“, wie es einmal heißt. Daniel Geronimo Prochaska, Sohn des österreichischen Krimispezialisten Andreas Prochaska, inszeniert mit „Unten“ seinen ersten „Tatort“. Die Erfahrung als Cutter sieht man dem Film, der mehrere Obdachlosenporträts ineinander und in eine direkt erzählte Kriminalfilmhandlung ohne Mätzchen verwebt, an (Schnitt Alarich Lenz).

Debüt beim „Tatort“

Für das Drehbuch zeichnen mit Thomas Christian Eichtinger und Samuel R. Schultschik zwei weitere „Tatort“- Debütanten verantwortlich. Ihnen allen gelingt eine plausible Premiere, die in der Binnenerzählung die Frage nach dem Wert des Einzelnen bewegt. Seinen letzten Auftritt hat dagegen Thomas Stipsits als Polizistenkollege „Fredo“. Seine Rolle, die sich durch die detailverliebte Pusseligkeit der Recherche und den stillen Mut der Verzweiflung, mit dem Fredo in der Folge „Pumpen“ unter Muskelprotzen im Fitnessstudiomilieu Kopf und Kragen riskierte, auszeichnete, werden dem Wiener „Tatort“ fehlen. Dieser „Tatort“-Kollege war einer, den man leicht übersah – allerdings nur beim ersten Mal.

Auf einen Kaffee: Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) mit der Obdachlosen Sackerl-Grete (Inge Maux).


Auf einen Kaffee: Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) mit der Obdachlosen Sackerl-Grete (Inge Maux).
:


Bild: ARD Degeto/ORF/Superfilm/Philipp

In „Unten“ geht es ums Sehen und Wegschauen. Obdachlose sind nicht selten wie Unsichtbare, das Buch macht dies zum Thema. Die Handlung gibt manchen von ihnen mit wenigen Federstrichen Persönlichkeit. Einer war Maler, eine war gutsituiert bis zur Finanzkrise, ein anderer Concierge im Luxushotel, der nächste Autor. Die Kamera von André Mayerhofer setzt immer wieder auf Blicke oder deren Verweigerung. Intensiv sind die Szenen im Verhörraum mit den dunklen Wänden, in dem die Befragten mehr Tiefenschärfe bekommen als gewohnt. Der Film beginnt mit einer Beiseitesicht, einer Parallelhandlung. Von Sackerl-Grete (Inge Maux), einer Frau, die ihre Habseligkeiten in der U-Bahn-Station vor sich hin schiebt und schimpft, nimmt niemand Notiz, bis auf den Jungen Tobi (Finn Reiter), der sie durchs Bahnfenster beobachtet. Neben ihm seine Mutter Johanna (Sabrina Reiter).

Auch die beiden sind obdachlos – Job weg, Wohnung verloren – und auf dem Weg zum Wohnheim „Lebensraum“, dessen Leiter Franz Zanger (Michael Pink) nur eine Notfallschlafstelle mit Gemeinschaftsraum-Stockbett anbieten kann. Erst einmal müssen die Neuankömmlinge in die Klinik von Frau Dr. Schneider-Reeves (Jutta Fastian) zum Gesundheitscheck. Während Bibi Fellner und Moritz Eisner auf den Spuren von Gregors Recherchen Verschwundenen nachspüren, die niemand vermisst, hofft Johanna, bald wieder eine Stelle zu finden und mit Sohn Tobi das Milieu zu verlassen. „Unten“ wirft mit der Mutter-Sohn-Nebengeschichte einen schweren emotionalen Zuschaueranker – zum Schluss wird er spannend zugespitzt.

Wegen der Pandemie-Einschränkungen mussten die Dreharbeiten dieses „Tatorts“ unterbrochen werden. Dass schließlich ein Weiterdreh möglich wurde, war ein wichtiges Zeichen für die Beteiligten, aber auch für die Branche. Es mag Fernsehfilme über Obdachlosigkeit geben, die beeindruckender sind – so „Sterne über uns“, gerade beim Fernsehfilmfestival Baden-Baden mit den zwei Hauptpreisen ausgezeichnet, oder „Ein Teil von uns“ mit Brigitte Hobmeier und Jutta Hoffmann –, aber als eher klassischer Krimi-„Tatort“ hat „Unten“ in jedem Fall seine Meriten.

Der Tatort: Unten läuft heute, Sonntag, 20. Dezember, um 20.15 Uhr in der ARD.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!