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#Snooker-Profi auf Umwegen: Raus aus dem Taxi, rauf auf der Hühnerleiter

Gary Wilson hielt sich lange mit Gelegenheitsjobs über Wasser – dann kam seine Snooker-Karriere in Fahrt. Das freut auch die Tour-Veranstalter. Denn sein Beispiel bestätigt sie in ihrem Kurs.

Inzwischen ist es Gary Wilson, der herumgefahren wird. Der 38 Jahre alte Billardcrack aus Englands Nordosten braucht sich in diesen Tagen nur in ein Shuttle-Fahrzeug zu setzen, um vom Hotel in Telford, einer kleinen Stadt in den West Midlands, ins International Centre zu gelangen.

Im Innern der Arena begegnen ihm seine Mitbewerber mit einer Menge Respekt. Er ist schließlich ein hoch eingeschätzter Akteur, der es bei der am Montag begonnenen Players Championship nach Ansicht von Experten ziemlich weit bringen könnte. Gerade jetzt, nachdem er am Sonntag mit den Welsh Open zum zweiten Mal in dieser Saison ein Ranglisten-Turnier der globalen Main Tour gewonnen hatte – und sich im ersten Moment so fühlte, als sei er „over the moon“, über dem Mond also, oder auf Deutsch eher: „auf Wolke sieben“.

Die Genugtuung ist schon deshalb groß, weil das für ihn alles andere als selbstverständlich ist. Der Mann mit dem rotblonden Bart und dem rasierten Schädel kann sich noch gut an „diese unsicheren Zeiten“ erinnern, als er die globale Profiserie aufgrund fehlender Erfolge wieder verlassen musste.

Sieben Jahre lang, von 2006 bis 2013, musste er mit Aushilfsjobs sowie der Hoffnung überstehen, sich irgendwann abermals zu qualifizieren. Aber das war ein verwegenes Ziel, wenn einer zu Hause in Walsall, bei Newcastle upon Tyne, auf profane Weise Geld verdienen muss. Etwa in einer Bar, in einer Fabrik für Tiefkühlkost oder hinter dem Steuer eines Blue Line Taxis, mit dem Wilson jahrelang Kunden durch die Gegend chauffierte.

Erstes „Century Break“ mit neun Jahren

Mancher würde seine sportlichen Ambitionen unter den Umständen wohl in aller Stille begraben. Doch der früh begabte Einzelkämpfer, dem mit neun Jahren sein erstes „Century Break“ (Aufnahme mit 100 und mehr Punkten) gelang, träumte weiter – selbst in Zeiten, „als ich Geld brauchte und überlegte, welchen Job ich annehmen könnte“, wie er dem nordenglischen „Chronicle“ mal verriet.

Und ganz allmählich wurde seine Hartnäckigkeit belohnt. 2013 konnte Wilson auf die Main Tour zurückkehren. Zwei Jahre später erreichte er bei den China Open sein erstes Finale sowie 2019 die Vorschlussrunde der WM. Den ersten Titel bei einem Ranglisten-Turnier und 80.000 Pfund Siegprämie (rund 93.000 Euro) konnte er dann vor vierzehn Monaten bei den Scottish Open verbuchen, als er Joe O’Connor mit 9:2 klar besiegte.

Das waren Meilensteine, die Wilsons etwas unorthodoxes Spiel wie auch sein Selbstbewusstsein immer stabiler werden ließen. So sehr, dass er nun den zwölften Platz im Zweijahres-Ranking plus insgesamt 375.000 Pfund (rund 438.000 Euro) an Prämien erobern konnte. Der plötzliche Höhenflug ist aber auch für die Entscheider der federführenden World Snooker Tour (WST) vorteilhaft. Bestätigt er sie doch in ihrem Kurs, die oberste Wettbewerbsetage durch modifizierte Regeln und mehr Termine durchlässiger für Nachrücker zu machen. Sie kriegen nun deutlich mehr Chancen, auf der Hühnerleiter für 128 Profis aus aller Welt nach oben zu klettern – ob sie nun aus dem Königreich, vom europäischen Festland oder aus Südostasien kommen.

So stehen in Telford, wo die Top 16 der Einjahresrangliste um 385.000 Pfund (rund 450.000 Euro) Prämien spielen, neben den üblichen Verdächtigen auch weniger bekannte Gesichter am grünen Tisch. Wie etwa der 32 Jahre alte Zhang Anda alias „The Mighty Mouse“ aus der chinesischen Volksrepublik. Oder der 29 Jahre alte Hossein Vafaei, der als erster Iraner in die Weltelite vorgedrungen ist. Oder eben Wilson, der am Dienstagnachmittag ausgerechnet auf Vafaei traf.

Das war lange eine enge Partie, in der Vafaei zunächst den besseren Start erwischte. Am Ende zog sein britischer Gegner jedoch von 4:4 auf 6:4 davon. Wilson war offenbar immer noch beflügelt von seinem Erfolg in Wales, wo er nicht nur ein „Maximum Break“ mit 147 Punkten, sondern laut Kommentatoren-Legende Jimmy White allgemein „unglaubliches Zeug“ abgeliefert hatte.

„Über die Jahre so viele Tiefs“

Solche Erlebnisse machen einen in entscheidenden Momenten sowohl ruhiger als auch bissiger, ist Wilson überzeugt – gerade wenn man „über die Jahre so viele Tiefs wie ich“ erlebt hat. Wie lange die kleine Serie von sieben Siegen hintereinander andauert, weiß indes keiner. Sicher ist nur, dass der „Tyneside Terror“, wie er häufiger genannt wird, in seiner wechselhaften Zeit auf der Tour noch keine längere erlebt hat.

Dieses erhebende Gefühl wird er an diesem Donnerstag nach der sogenannten „Lunch­time“ (14.00 Uhr bei Eurosport und Discovery) ins Viertelfinale mitnehmen. Dort geht es gegen den Nordiren Mark Allen, den Dritten der Weltrangliste, der seinen Gegnern freiwillig nicht die kleinste Chance auf dem straff gespannten Tuch liegen lässt. Aber das sagt man über Gary Wilson mittlerweile auch.

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