Nachrichten

#So ein Walzer hat’s halt in sich

„So ein Walzer hat’s halt in sich“

Weil die „Nachwirkungen des Silvester den Konzertbesuch“ womöglich „ungünstig beeinflussen könnten“, wie der Dirigent Clemens Krauss befürchtete, fand das allererste Neujahrskonzert am Silvesterabend statt – und zwar als Benefizveranstaltung zugunsten des „Winterhilfswerkes“, das mit dem Reinerlös die Not der „Volksgenossen“ lindern sollte. Es war der 31. Dezember 1939. Seit vier Monaten schon gab es Krieg in Europa. Etwas Trost, etwas Ablenkung und Leichtigkeit wurden dringend gebraucht. Ein Programm mit den beschwingten Werken der Strauß-Dynastie schien dafür wie gemacht, entsprach es doch dem Wunsch des Propagandaministers, Wien als Stadt „des Optimismus, der Musik und Geselligkeit“ zu etablieren.

Dass gerade die Wiener Philharmoniker für diese Aufgabe ausersehen wurden, war keineswegs selbstverständlich. Zwar gab es zwischen ihnen und der Strauß-Familie im neunzehnten Jahrhundert immer einmal wieder Berührungspunkte (1873 zum Beispiel die Uraufführung von „Wiener Blut“), aber eigentlich erachteten die Herren Philharmoniker diese angeblich seichte Gebrauchs- und Unterhaltungsmusik unter ihrer Würde. Dabei wurden die Kompositionen von Johann und Josef Strauß doch auch von ganz ernsthaften Menschen und Musikern wie etwa Richard Wagner geschätzt, der seinen Kollegen immerhin als den musikalischsten „Schädel der Gegenwart“ kennzeichnete. Damals, in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, war der Walzer, der wegen der körperlichen Nähe der sich drehenden Tanzpartner als anrüchig und schlüpfrig gegolten hatte, jedenfalls längst salonfähig geworden und eigentlich schon seit dem Wiener Kongress von 1814/15 ein wesentlicher Bestandteil auch des großbürgerlichen Lebens. Von einer regelrechten „Tanzwut“, die ganz Wien wie eine Krankheit ergriffen habe, ist in zeitgenössischen Quellen immer wieder zu lesen, und diese Euphorie scheint der restaurativen Metternich-Ära durchaus willkommen gewesen zu sein. „Der Tanz erhitzt den Kopf, wirkt aufs Sexualsystem, und macht somit jeden Gedanken an Revolution verschwinden“, schreibt der Schriftsteller und Naturheilarzt Maximilian Leopold Langenschwarz in seinem Buch „Europäische Geheimnisse eines Mediatisirten: Metternich und Europa“. So ist es kein Zufall, dass der Walzer, der Ende des achtzehnten Jahrhunderts als Ableger des Ländlers aufkam, gerade im Vormärz seine endgültige Ausprägung fand. Komponisten wie Joseph Lanner waren daran beteiligt und natürlich besonders die Strauß-Dynastie, deren Existenz das lange neunzehnte Jahrhundert umspannt, beginnend mit Johann Strauß Vater, geboren 1804, und endend mit dem Tod seines jüngsten Sohnes Eduard im gleichen Jahr 1916, in dem mit dem greisen Kaiser Franz Joseph bald auch die Donaumonarchie zu Grabe getragen wurde. Die unzähligen Walzer, Märsche, Polkas und Quadrillen aus ihrer Feder liefern gleichsam den Soundtrack kakanischer Geselligkeit. Dass es sich bei dieser Musik keineswegs bloß um billige Dutzendware handelte, haben hellhörige Zeitgenossen sehr wohl bemerkt. „Leider nicht von mir“, hat der Wahl-Wiener Brahms über den „Donauwalzer“ geseufzt. Seine „Ungarischen Tänze“, die er just um diese Zeit schrieb, sind den großen Walzern der Zeit doch wesensverwandt: Es ist darin eine Leichtigkeit, die vom Schweren weiß, eine Lebensfreude, die ihre Vergänglichkeit schon kennt, eine, die sich gerade noch dreht und jetzt taumelnd stehen bleibt, verweilen will mit einem hinreißend schwermütigen Zögern und Verhalten, ehe der aberwitzig beschleunigte Kehraus zuletzt allem weichen Tiefsinn herrisch ein Ende bereitet.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!