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#Sobald sich dieser Typ enttarnt, beginnt die Hetzjagd

Seit einigen Jahren kann man sie nicht mehr sehen. Jedenfalls wenn man kommerzielle Sportübertragungen im Fernsehen verfolgt. Denn die Regieanweisung lautet, die Sichtbarkeit der Störung durch Sportflitzer unsichtbar zu machen. Allerdings können Medien nicht nicht hinsehen: Das erheiterte Raunen des Publikums und das Nichtzeigen eines Geschehens lassen den Rückschluss zu, den der Moderator gleich verbal bestätigen wird: Es ist schon wieder jemand über das Feld gelaufen, vielleicht auch, wie oft, spärlich bekleidet oder nackt. Die soziologische Studie von Karl-Heinrich Bette und Felix Kühnle schaut umso genauer hin und widmet sich dem Sportflitzer als Störenfried.

Die beiden Darmstädter Sportwissenschaftler haben erkennbar Spaß beim Formulieren dieses Büchleins gehabt. Sie enthüllen Sportflitzer in allen Dimensionen ihrer Regelverstöße: Den Athleten ist die Kleidung exakt vorgeschrieben, und sogar beim Jubeln darf das Trikot nicht ausgezogen werden? Der seine Kleidung abwerfende Sportflitzer antwortet mit kruder Nacktheit und Selbstentblößung vor Zehntausenden. Das Stadion unterscheidet streng zwischen Zuschauerrängen und einem geschützten Innenraum für Athleten?

Der Sportflitzer überwindet alle Hürden mit Täuschung und List, dringt auf den Platz vor und wird vom Zuschauer zum Akteur. Das Spiel duldet keine unsportlichen Verzögerungen und hat ein strenges Zeitregime? Der Sportflitzer unterbricht die Aufführung minutenlang und demonstriert Schiedsrichtern und Funktionären ihre Machtlosigkeit. Er (oder sie) ist die unlizenzierte theatralische Präsenz in einer durchkomponierten und total vermarkteten Sphäre.

Die Kunst des Weglaufens bekommt Beifall

Der Sportflitzer, ein Virtuose des Augenblicks, ist auf das Setting des Großsportereignisses angewiesen. Er nutzt die vorbereitete Aufmerksamkeit und lenkt sie auf sich um. Er ist in einem soziologischen Sinne ein Parasit, der mit Witz, Clownerie und Klamauk in der kommerziellen Öffentlichkeit der Sportkultur Chaos und Unordnung inszeniert.

Für ihn ist die demonstrative Unzivilisiertheit ein Moment ultimativer Freiheit, und mit etwas Glück und Geschick amüsiert er die Massen. Auch für seine regelbrechende Intervention gibt es Regeln: niemand verletzen, keine Mannschaft durch die Unterbrechung bevorzugen und sich der finalen Festnahme nicht widersetzen.

Karl-Heinrich Bette und Felix Kühnle: „Flitzer im Sport“. Zur Sozialfigur des Störenfrieds.


Karl-Heinrich Bette und Felix Kühnle: „Flitzer im Sport“. Zur Sozialfigur des Störenfrieds.
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Bild: transcript Verlag

Denn im Stadion ist man auf den Uneingeladenen vorbereitet. Sobald der Flitzer sich enttarnt, beginnt die Hetzjagd. Wenn Männer einem nackten Mann vergeblich hinterherrennen, verstärkt die „homoerotische Fangsituation“ den Lachimpuls bei den Zuschauern. Frauen haben ohnehin die Sympathie auf ihrer Seite, laufen aber Gefahr, sexualisiert zu werden.

Die Kunst des Weglaufens bekommt umso mehr Beifall, als ihr Ende absehbar ist. In der abgeschlossenen räumlichen Situation ist Flitzen „eine sisyphosartige Revolte gegen das unabwendbare Schicksal“, schreibt das Autorentandem, und am Ende wird noch jeder und jede erwischt.

Semiprofessionelle mediale Berühmtheit

Manchmal finden die Ordnungskräfte den Tabubruch nicht so lustig, dass sie sich Autogramme geben lassen. Ein berühmter Flitzer berichtet von erzwungener Nacktheit auf einem Polizeirevier in Madrid: Nicht nur in der Zelle, sondern auch bei seiner Entlassung gab man ihm weder Kleidung noch Ausweispapiere zurück. Solche Repression erinnert an viel schlimmere Demütigungen, in denen politische Machtapparate Beschämung ihrer Opfer durch Nacktheit erzwingen möchten.

Viele Sportflitzer drehen den Spieß um. Gelingt es, wird daraus semiprofessionelle mediale Berühmtheit. Manche von ihnen geben an, schon mehr als fünfhundertmal geflitzt zu sein; Videos besonders gelungener Interventionen wurden bis zu 70 Millionen Mal aufgerufen. Man muss nicht etwas leisten, um soziale Berühmtheit zu erlangen, schlussfolgert die Flitzer-Forschung – und relativiert es sogleich.

Denn von der leicht abzulegenden Kleidung (Klettverschlüsse) über Mummenschanz als Innenraum-Berechtigter bis zur Bestechung von Ordnern: Wie viel Cleverness, Planung und Logistik ist nötig, um so eine Laufeinlage erfolgreich hinzubekommen! Mit anderen Worten: Sportflitzer imitieren auf ihre Weise die kompetitive Konstellation des Leistungssports. Ihr Überwinden der Sicherungsmaßnahmen führt wiederum zu deren Qualitätssteigerung und trägt paradoxerweise zur Abschottung von Sportereignissen bei.

Die beiden Autoren, die sich so scharfsinnig mit dem absichtlichen Normbruch beschäftigen, bleiben in ihrem Buch streng im Rahmen der akademischen Manieren. Nicht ein einziges Mal kommt der Verdacht auf, es könne sich um eine Wissenschaftsparodie handeln. Von der Forschungsmethode über das soziologische Fachvokabular bis zur Darstellungsform ist die seriöse Einkleidung penibel gewahrt (auch dort, wo es um primäre Geschlechtsmerkmale geht). Bette und Kühnle wollen so wenig Störenfriede des Wissenschaftsbetriebs sein, dass nicht eine einzige Abbildung eines Flitzers Eingang in eine soziologische Studie finden durfte, die Freiheit und Spaß zum Thema hat, aber nicht visualisiert.

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