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#Sophie Scholl ist jetzt bei Instagram

Sophie Scholl ist jetzt bei Instagram

Wenige Tage vor ihrem 21. Geburtstag am 9. Mai 1942 fährt Sophie Scholl in hoher Stimmung nach München, und Hunderttausende Follower sind live im Internet dabei. Oder so gut wie live, schließlich ist in Wirklichkeit Mai 2021, was allerdings für die Geschichts- und die Fiktionsredaktionen des SWR und des BR, für die beratenden Historikerinnen und das Produktionsteam des im Moment gehypten Instagram-Kanals „@ichbinsophiescholl“ schnuppe scheint wie alles, das nach „Geschichtsbuch“, „historischer Distanz“ und „unbedingte Quellentreue“, also maximal verstaubt und unsexy klingt. In den vergangenen Tagen dieses Mais hat „Sophie Scholls“ fiktiver Instagram-Auftritt als quicklebendige Bloggerin von 1942 die Marke von 500.000 Followern überschritten.

Zehn Monate lang, bis zum 18. Februar 2022, also bis zur Erinnerung an die Verhaftung der jungen Frau und ihres Bruders Hans am 18. Februar 1943 durch die Gestapo (gefolgt von den Inhaftierungen Willi Grafs, Christoph Probsts, Alexander Schmorells und weiteren Mitgliedern der Widerstandsbewegung), wird nun täglich neues „emotionales und radikal subjektives“ Material von und mit Luna Wedler, die die Sophie Scholl auf „@ichbinsophiescholl“ spielt, veröffentlicht werden – in Echtzeit-Fiktion. Wenn sich beispielsweise „Sophie“ um elf Uhr entschließt, die Vorlesung zu schwänzen und an den See zu fahren, dann wird man ihren Post auch um elf Uhr desselben Tages auf Instagram finden können. Der Jubel in den beteiligten ARD-Sendern könnte größer kaum sein: Dieses „digitale Leuchtturm-Projekt (…) untermauert den Anspruch, dass öffentlich-rechtliches Programm jenseits von linearen Abspielwegen funktioniert und sich behaupten wird“. Daseinsberechtigung, Bildungsauftrag, Zukunftsmission, alles erfüllt. Oder doch nicht? Bei Geschichtsvermittlung kommt es wesentlich auf das Wie an. Auf faktenbasierte Darstellung. Die hier doch in mancherlei Hinsicht zu wünschen übrig lässt.

„Lifehacks“ und Wochenzusammenfassungen

In die Fahrt aufnehmende Umsetzung der Digitalstrategie der ARD passt das gefühlsorientierte Zeithistorienprojekt „@ichbinsophiescholl“ wie die Faust aufs blaue Auge. Das Verfahren: „Geskriptetes und szenisch inszeniertes Bewegtbild wird mit szenischen historischen Original-Elementen, ob Fotos, Nachrichtenmeldungen oder Propaganda-Material kombiniert.“ Sprich: Nicht überall, wo „#ichbinsophiescholl“ draufsteht, ist auch Sophie Scholl drin. Orientiert hat man sich an schriftlichen Zeugnissen der Münchner Studentin und Widerstandskämpferin der „Weißen Rose“. Geburtstagsfeiern, in die Kamera gesprochener Zweifel über die Verbindung mit dem Verlobten Fritz, politische Gedanken lassen sich so fiktiv übersetzen.

Aber schon bei sogenannten „Lifehacks“ und Wochenzusammenfassungen klemmt es mit dem Material. Auch wenn man den Authentizitätsbegriff großzügig fasst: Ist es richtig, Sophies erste Entdeckung der Stadt München unkommentiert mit Fremdaufnahmen zu unterlegen, etwa Wochenschauaufnahmen, die in dieser Zeit wohl kaum politisch und dramaturgisch „neutral“ zu sehen und unkommentiert illustrierend einzusetzen sind? Die Bewegtbilder in der Insta-Story des Kanals stammen wohl aus vielen Quellen, das Material im Feed kann man noch nicht beurteilen. Regisseur Tom Lass, der die Umsetzung zusammen mit Social-Media-Redaktionsleiterin Suli Kurban verantwortet, äußerte sich im Interview mit der Welle BR2 zu seinem Authentizitätsbegriff. Frage: Was etwa ist mit Tagen, an denen man auf keine Überlieferung zurückgreifen kann? Gepostet werden muss; dann eben Erfundenes. Dass hier frei dramatisiert wird, kann man durchaus für problematisch halten.

Taugt das Projekt trotzdem etwas? Taugt der erlebnispädagogische Zugang zur historischen Anschauung, die sich gerade mal so viel Authentizität gönnt, wie ihrer Vermittlungsabsicht zuträglich ist, überhaupt etwas? An einem Extrembeispiel hat Karl Kraus in der Fackel 1921 im Essay „Reklamefahrten zur Hölle“ die Nachempfindungsabsicht ad absurdum geführt. Aufgespießt sieht man da eine Anzeige in den Basler Nachrichten, die wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg Schlachtfelder-Rundfahrten nach Verdun anbot. Was ihn erboste, war vor allem die Verbindung von Kommerz und Respektlosigkeit vor den Toten.

Auch wenn „@ichbinsophiescholl“ wesentlich harmloser zu bewerten ist, der Punkt bleibt. Um eine angemessene, seriöse historische Würdigung Sophie Scholls und der Gruppe geht es dort nicht, auch nicht um die Absicht der Überbrückung der geschichtlichen Distanz für junge Menschen. Instagram – so betonen die Macher – sei eben inzwischen auch die „Weltbühne des Aktivismus“. Als Aktivistin habe Sophie Scholl Relevanz und sei ein Vorbild für „Kämpfe gegen Rassismus, Klimakatastrophe und für mehr Gleichberechtigung“. Sophie Scholl, die bekannte Heldinnen- als Identifikationsgeschichte, und ein Minimalziel der Vermittlung. Social Media heißt das Zauberwort. Wichtiger noch als Content sind Follower. Das Anfangsvideo hatte 1,7 Millionen Abrufe. Mission erfüllt – fragt sich nur, für wen.

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