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#Stammbaum für die einfachsten mehrzelligen Tiere

„Stammbaum für die einfachsten mehrzelligen Tiere

Erstmals haben Forscher einen gesamten Tierstamm systematisch klassifiziert: Anhand von genetischen und molekularen Analysen haben sie eine komplette Taxonomie des Stammes der Plattentiere (Placozoa) erstellt. Da diese sandkorngroßen, scheibenartigen Lebewesen keine feste Form haben und sich die Arten äußerlich kaum unterscheiden, war es für Wissenschaftler nicht möglich, anhand äußerer Merkmale verschiedene Arten zu identifizieren. Die neue Analyse deckt nun verborgene Verwandtschaftsverhältnisse auf und erleichtert den wissenschaftlichen Austausch über die verschiedenen Arten der urtümlichen Mehrzeller.

Placozoa sind winzige, klecksartige Lebewesen ohne Organe und mit nur wenigen Zelltypen. Sie leben vor allem in tropischen und subtropischen Gewässern und können sich mithilfe von haarähnlichen Strukturen fortbewegen. Im Jahr 1883 wurde die erste Placozoa-Art beschrieben – und blieb mehr als 100 Jahre lang die einzige Spezies des gesamten Tierstamms. Der Grund dafür: Ihr äußerliches Erscheinungsbild ist so unförmig und veränderlich, dass es sich nicht für eine Klassifikationen eignet. „Für einen Taxonomen, der durch ein Mikroskop blickt, selbst ein leistungsstarkes, gibt es fast keine Merkmale, um sie zu vergleichen und zu unterscheiden“, erklärt Michael Tessler vom St. Francis College in Brooklyn in New York. Erst 2010 wiesen Wissenschaftler mit DNA-Analysen nach, dass es auf genetischer Ebene sehr unterschiedliche Abstammungslinien dieser Wesen gibt.

Vollständige Taxonomie

Tessla und sein Team haben nun erstmals eine systematische Klassifikation der Placozoa vorgenommen. Statt auf äußerliche Merkmale verließen sie sich dabei auf Unterschiede in DNA-Sequenzen und weiteren molekularen Merkmalen – eine Methode, die als molekulare Morphologie bezeichnet wird. „Wir wollten wissen, wie diese uralte Tiergruppe verwandt ist und wo sie im Stammbaum des Lebens steht“, sagt Co-Autor Johannes Neumann vom American Museum of Natural History in New York. „Darüber wird schon seit Jahrzehnten spekuliert, aber jetzt, da wir die Unterschiede zwischen den Placozoen auf molekularer Ebene untersuchen, können wir ein klares Bild davon zeichnen, wie diese Tiere miteinander verwandt sind.“

Die Forscher erstellten eine Grundtaxonomie mit zwei neuen Klassen, vier neuen Ordnungen, drei neuen Familien, einer neuen Gattung und einer neu entdeckten Art. „Die Studie kommt mehr als 100 Jahre nach der Entdeckung dieser winzigen und strukturell einfachsten aller mehrzelligen Tiere und ist das erste – und vermutlich einzige – Mal in diesem Jahrhundert, dass eine vollständige Taxonomie für einen ganzen Tierstamm erstellt wird“, sagt Co-Autor Bernd Schierwater von der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Er selbst war es, der 2010 gemeinsam mit seinem Team an verschiedenen Meeresküsten weltweit Plattentiere gesammelt und erstmal nachgewiesen hatte, dass es mehr als eine Art gibt.

Neue Einblicke in Verwandtschaftsbeziehungen

Da die Klassifizierung und die Entdeckung der neuen Art auf jahrzehntelanger internationaler Zusammenarbeit beruhten, gaben die Forscher der neuen Art den Namen Cladtertia collaboinventa, was so viel bedeutet wie „die dritte Klade, in Zusammenarbeit entdeckt“. Gefunden wurde die neue Spezies in einem Seewasseraquarium. Genetische Analysen zeigten, dass C. collaboinventa elf einzigartige Gene besitzt, die bei anderen Spezies nicht vorkommen, während zwölf Gene, die bei anderen Spezies nachgewiesen wurden, fehlen. Die Forschungen zeigen nicht nur die Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb des Stammes der Plattentiere, sondern auch, wie diese urtümliche Gruppe mit anderen Tieren verwandt ist. Die engste Verwandtschaft besteht demnach zu den Nesseltieren, zu denen unter anderem Quallen, Korallen und Seeanemonen gehören, sowie zur großen Gruppe der Bilateralia. Diese umfasst alle Tiere, deren Körper symmetrisch in linke und rechte Seite aufgeteilt ist – von Schnecken bis hin zu Menschen.

Die Autoren schlagen vor, die Methode der molekularen Morphologie auch für weitere Organismen zu nutzen, deren Klassifizierung anhand äußerer Merkmale problematisch ist, darunter beispielsweise einige Bakterien, Pilze und Protisten. „Taxonomische Lücken sind problematisch“, erklären die Forscher. „Ohne Namen wird die Kommunikation behindert und der weitere wissenschaftliche Fortschritt gebremst.“ Molekulare Analysen können aus Sicht von Tessler und seinen Kollegen Abhilfe schaffen: „Da Moleküle wie Proteine eine strukturierte Gestalt aufweisen, schlagen wir vor, dass sie nicht als etwas anderes als die traditionelle Morphologie betrachtet werden sollten. Wir sind überzeugt, dass auf diese Weise jede taxonomische Tabula rasa gefüllt werden kann.“

Quelle: Michael Tessler (St. Francis College, Brooklyn, New York) et al., Frontiers in Ecology and Evolution, doi: 10.3389/fevo.2022.1016357

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