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Proust, Mahlzeit

Marcel Proust ist für vieles bekannt, nur nicht unbedingt als food writer. Dabei schreibt kaum einer so packend darüber, was gutes Essen mit einem anstellen kann. Denken Sie nur mal an den berühmtesten Moment aus „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“: Die Szene mit der Madeleine. Ich-Erzähler Marcel taucht das Gebäckstück in den Tee. „In der Sekunde nun“, schreibt Proust, „da dieser mit den Gebäckkrümeln gemischte Schluck Tee meinen Gaumen berührte, zuckte ich zusammen und war wie gebannt durch etwas Ungewöhnliches, das sich in mir vollzog.“

Eine simple Tasse Tee und ein simples Gebäckstück werden zum Ausgangspunkt für eine Reise in die Tiefen der Erinnerung und des Bewusstseins. Dabei ist Prousts Erfahrung mit der Madeleine mehr oder weniger dieselbe, die man etwa mit einem Stück Käsekuchen haben kann, das genauso schmeckt, wie das von Oma und so Erinnerungen weckt an Nachmittage auf der Terrasse, unter dem Kirschbaum, mit Saft oder Caro-Kaffee in der Tasse und einem Stück eben jenes Kuchens – nur ist das bei Proust wortgewaltiger umschrieben. Marcel, der Ich-Erzähler von „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ hat die Muße, diesen Erinnerungen in aller Ausführlichkeit nachzuspüren.

Kulinarische Beschreibungen von Restaurants bis Dinnerpartys

Dabei ist Prousts Werk auch abseits dieser legendären Szene voll von kulinarischen Verweisen und Beschreibungen von Gerichten und Menüs. Die feine Gesellschaft, die Proust so gekonnt satirisch beschreibt, trifft sich eben vor allem beim Essen zu Hause oder in Restaurants, zu Dinnerpartys und edlen Empfängen. Was gereicht wird, ist nicht selten Anlass für seitenlange Betrachtungen. Das geht so weit, dass der Literaturwissenschaftler J.M. Cocking schreibt: „Teile von Prousts Poesie sind sublimierte Gastronomie.“ Das schlägt sich natürlich auch im Personal nieder, das die Welt der Suche nach der verlorenen Zeit bevölkert. Vor allem bleibt da Köchin Françoise, in Erinnerung, die Proust in liebevoll-spöttischem Tonfall beschreibt und sie in eine Reihe mit anderen Künstlerfiguren stellt, die Erzähler Marcel so trifft: La Berma, die Schauspielerin, Elstir, den Maler, oder Bergotte, den Schriftsteller.

Das Reich dieser Köchin beschreibt Proust als „Venustempel“ und ihr Magnum Opus darf sie gleich zu Beginn des zweiten Bandes schaffen: Ein „Boeuf Mode en Gelee“, ein Rinderschmorbraten in Aspik. Das Gericht wird vom Gast in den höchsten Tönen gelobt. Proust beschreibt in einer Rückblende ausgiebig die minutiöse Zubereitung dieses recht aufwändigen Gerichts. Das Hochgefühl stützt aber mit dem Nachtisch  abrupt ab: Ananas-Trüffel-Salat. Die Kombination der beiden Gerichte haut einfach nicht hin. So wird der Salat vom Gast zwar nicht verschmäht, stattdessen aber ausdruckslos angestarrt. Auf die strahlende Aufforderung der Gastgeberin, nimmt er sich dann aber doch noch einen Nachschlag – mit einem gequälten Lächeln, stellt man sich beim Lesen vor.

Landpartie um 1900: Marcel Proust (stehend in der Mitte) mit seinem Vater, dem Arzt Adrien Proust (sitzend, rechts)


Landpartie um 1900: Marcel Proust (stehend in der Mitte) mit seinem Vater, dem Arzt Adrien Proust (sitzend, rechts)
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Bild: Edition Olms, Zürich 2012

Aspik hat seine besten Zeiten hinter sich

Dass die Küche, die Proust auftischt heutzutage eher für hochgezogene Augenbrauen, als für wässrige Münder sorgt, zeigt das Kochbuch „Zu Gast bei Marcel Proust“, dass die Literaturwissenschaftlerin Anne Borel zusammen mit dem Restaurantchef Alain Senderens geschrieben hat. Aspik etwa hat seine besten Zeiten als Food-Trend spätestens seit den Siebzigern hinter sich und Gerichte wie „Rochen in brauner Butter“ oder „Die Jungfrauen von Caen, im ewigen Feuer geröstet“ (Gegrillte Langusten) schüttelt der gemeine Hobbykoch jetzt auch nicht unbedingt mal so aus dem Ärmel. Der „Japanische Salat“ wiederum, bei dem Swann das erste Mal seine zukünftige Ehefrau Odette erblickt, entpuppt sich als wenig japanisch (es ist ein Kartoffelsalat mit Muscheln) und Soufflés sind sowieso nur was für Köche mit Nerven wie Drahtseile.

„Zu Gast bei Marcel Proust“ erschien 1992 und zeigt vor allem auch in schönen, mittlerweile recht altbackenen Fotografien, wie die Gerichte und Tafeln ausgesehen haben müssen, die Marcel, Swann und das ganze Personal von „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“  genossen haben. Anne Borel beschreibt in den erläuternden Texten ausgiebig die Tischkultur in Prousts Texten und dass das, was aufgetischt wird, eben auch viele andere Funktionen erfüllt und nicht nur satt macht: Essen wird hier zum Distinktionsmerkmal und je nachdem, wer was serviert, wird dann eben auch das Urteil gefällt – schlimmstenfalls „geschmacklos“.

Sieben Bände umfasst Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“


Sieben Bände umfasst Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“
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Bild: Picture-Alliance

Aber warum das alles? Dass man mit seitenweisen Beschreibungen von irgendwas sehr schnell ein sehr dickes Buch beisammenhat, weiß jeder, der mal „Herr der Ringe“ gelesen hat. Aber Proust veranstaltet das ganze Theater ums Essen dann doch noch aus einem anderen Grund: Der ganze, 1,2 Millionen Wörter lange Romanzyklus ist eine Feier der Künste, der ästhetischen Erlebnisse und wie sie das Leben bereichern. Und Essen gehört für Proust einfach dazu. Dass das lange nicht so selbstverständlich war, zeigt etwa ein Blick in Hegels Ästhetik. Gut hundert Jahre vor Proust spricht der deutsche Philosoph der Kulinarik noch ab, zur Kunst zu taugen, weil „der Geschmack den Gegenstand nicht frei für sich belässt, sondern sich’s reell praktisch mit ihm zu tun macht, ihn auflöst und verzehrt. Eine Bildung und Verfeinerung des Geschmacks ist nur in Ansehung der Speisen und ihrer Zubereitung oder der chemischen Qualitäten der Objekte möglich und erforderlich.“

Proust dagegen zeigt vor allem eins: Wie der Genuss von Essen zu einer ähnlich tiefen ästhetischen Erfahrung führen kann, wie das Betrachten eines Gemäldes oder der Klang eines Musikstücks. Am Ende steckt in „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ auch ein Plädoyer für das bewusste Essen, sich den Assoziationen des Geschmacks hinzugeben und zu sehen, wo sie einen hintragen. Selbst wenn’s nur Omas Garten ist.

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