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#„Es gibt einen europäischen Dschihadismus“

„Es gibt einen europäischen Dschihadismus“

Herr Micheron, erlebt Europa fünf Jahre nach den Pariser Anschlägen eine neue Form des Lumpenterrorismus mit Einzeltätern, die mit Schlachtermessern auf ihre Opfer wie in Dresden, Nizza oder Conflans losgehen?

Christoph Ehrhardt

Michaela Wiegel

Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) ist in Syrien und im Irak militärisch besiegt worden. Aber der ideologische Boden, auf dem der IS prosperierte, ist in Europa nicht zurückerobert worden. Die Täter, die die jüngsten Anschläge verübten, kommen nicht aus dem Zentrum der Terrororganisation, sondern agieren am Rand. Das ist besonders beunruhigend, denn trotz militärischer Niederlagen ist die Sogkraft der Ideologie ungebrochen stark. Es handelt sich nicht um eine neue Form des Terrorismus, sondern um eine Übergangsphase des Dschihadismus, die wir gerade erleben. Ich würde sie mit dem Umbruch vergleichen, als nach den Anschlägen vom 11. September 2001 neben Al Qaida die neuen Terrorstrukturen des IS entstanden.

Dessen Propaganda hatte sich schon lange vor der militärischen Niederlage auf eine Strategie der Selbstermächtigung von Einzeltätern verlegt. Trägt sie jetzt vermehrt Früchte und wird zu einem Trend?

Ist das wirklich ein neuer Trend? Was ist in Frankreich 2012 passiert, also vor dem Vormarsch des Islamischen Staates in der Levante? Mohammad Merah, ein Einzeltäter, verübte in Frankreich Anschläge in derselben Vorgehensweise. Es hatte vorher ähnliche Angriffe in Großbritannien gegeben. Der IS ist nur eine Art Trittbrettfahrer. Er kann auf diese Weise seine militärischen Niederlagen schönreden. Das, was jetzt passiert, dem IS zuzuschreiben wäre missverständlich. Dieses Phänomen hat allerdings eine völlig neue Dimension erhalten, weil sehr viel mehr Leute der dschihadistischen Ideologie anhängen. Die Zahl der Europäer, die in dschihadistischen Organisationen in Syrien aktiv waren, ist mit etwa 5900 hundertmal so groß wie die Zahl der Europäer, die in den neunziger Jahren in Dschihadisten-Organisationen aktiv waren.

Der Politologe Hugo Micheron ist 32 Jahre alt. Anfang des Jahres erschien sein Buch „Französischer Dschihadismus“, in dem er seine Feldstudien in französischen Gefängnissen zusammenfasste. Micheron lehrt derzeit an der Princeton University.


Der Politologe Hugo Micheron ist 32 Jahre alt. Anfang des Jahres erschien sein Buch „Französischer Dschihadismus“, in dem er seine Feldstudien in französischen Gefängnissen zusammenfasste. Micheron lehrt derzeit an der Princeton University.
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Bild: Imago

Welche Rolle hat der IS dabei gespielt?

Die IS-Anhänger, mit denen ich in Gefängnissen gesprochen habe, waren selbst davon überrascht, wie viele sie sind. Der IS hat – anders als Al Qaida – seine Türen für alle geöffnet: für die Jungen, die Kriminellen, die Soziopathen. Und noch etwas: Alle Dschihadisten, die ich getroffen habe, haben mir gegenüber hervorgehoben, dass die Anhängerschaft um eine große Zahl von Frauen erweitert wurde. Damit ist die Kernfamilie Projektionsfläche der Ideologie geworden, die eine weitere Generation erfassen soll. Und diese Ideologie ist in europäischen Gesellschaften so tief eingegraben wie noch nie. Die Herausforderung der nächsten zehn Jahre ist, eine Antwort auf die Frage zu finden: Wie können wir diese Ideologie zurückdrängen? Es gibt jetzt einen europäischen Dschihadismus, und der Islamische Staat hat ihm neues Leben eingehaucht. Die jüngsten Terrorangriffe zeigen, wie weit sich diese Ideologie in Europa ausgebreitet hat.

Was sind deren Triebkräfte?

Dschihadisten brauchen ein Umfeld, Vorbilder in ihrer Umgebung, denen sie nacheifern wollen. Man wird nicht einfach über das Internet von heute auf morgen zum Dschihadisten. Oftmals wird das Terrain durch Salafisten oder Muslimbrüder vorbereitet, die sich als Hort der Gläubigen gegenüber dem Rest der „ungläubigen“ Gesellschaft definieren. In Deutschland ist dieses Phänomen auch zu beobachten. Der Gruppendruck in diesen Enklaven ist sehr stark. Die Ablehnung der westlichen Werte stiftet Bindungskraft.

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