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#Nach der Finsternis das Licht

Nach der Finsternis das Licht

Museen durchleben aktuell paradoxe Zeiten. Die permanenten Ausstellungen sind menschenleer, Sonderausstellungen hingegen zum Teil so brechend voll, dass sich Infektionssorgen einstellen könnten, käme den allermeisten Museen jetzt nicht ihre oft aus dem neunzehnten Jahrhundert stammende räumliche Opulenz zugute. Während man etwa in einer der weltbesten Sammlungen, der Berliner Gemäldegalerie, mühelos zehn Säle durchschreiten kann, ohne auch auf nur einen anderen Besucher zu stoßen, sind alle intelligent gemachten Sonderausstellungen gut gefüllt. Vor „Rubens“ in Stuttgarts Staatsgalerie und „Rembrandt“ im Städel Frankfurt stehen lange Schlangen, die man schon nie mehr wieder zu erleben glaubte. Der „Russische Impressionismus“ im Potsdamer Privatmuseum Barberini schloss mit hundertfünfzigtausend Besuchern, „Paula Modersohn-Becker“ in der Frankfurter Schirn meldet zwei Wochen vor Ende bereits achtzigtausend – die Sehnsucht nach dem Original nach den erzwungenermaßen digitalen Durststrecken ist augenscheinlich groß. Das stets Vorhandene der Präsenzbestände allerdings hat überall ein Problem, paradoxerweise nicht zuletzt deshalb, weil fast alles digital und hoch aufgelöst vorm heimischen Bildschirm aufzurufen ist, ohne dass die kuschelige Wohnung verlassen werden müsste.

Dieses Problems war sich auch die mit achthunderttausend Werken zweitgrößte Kunstsammlung der Schweiz im Musée d’art et d’histoire in Genf nur allzu bewusst. Dessen Direktor Marc-Olivier Wahler verband das Nützliche mit dem Angenehmen. Er gab dem renommierten Kurator und ehemaligen Direktor des Pariser Centre Pompidou wie auch des Düsseldorfer Kunstpalastes Jean-Hubert Martin Carte blanche. Dieser durfte eine komplette Etage „Präsenzsammlung“ des riesigen Museums ausräumen und auf den freien dreitausendfünfhundert Quadratmetern nach Gutdünken als Sonderausstellung neu arrangieren. Herausgekommen sind achthundertfünfzig Objekte unter dem Titel „Urteilen Sie selbst!“, die sich gegenseitig und rein visuell erklären – kein einziger Saaltext insistiert, nichts schreibt den Besuchern vor, was sie zu den Bildern zu denken hätten. Es geht merklich weg von den Gebrauchsanleitungs-Ausstellungen, in denen etwa sperrig abstrakte Kunst durch ellenlange Erläuterungen „verstehbar“ und konsumierbar erklärt werden soll.

Auguste Rodin, „Der Denker“, 1896


Auguste Rodin, „Der Denker“, 1896
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Bild: MAH Genf

Jean-Hubert Martin nennt seinen Ansatz „pensée visuelle“, bildliches Denken. Deutlich vor knäckebrotig-pädagogischer Wissensvermittlung sollen Anregung und Emotion kommen. Tatsächlich wurden bis Mitte des neunzehnten Jahrhunderts Museen meist von Künstlern geleitet, fast nie zum Nachteil der angekauften und ausgestellten Kunst. Weil sich ab 1850 die Museen wie auch die Wissenschaften immer weiter spezialisierten und bald in ein und derselben Stadt Häuser für europäische, afrikanische, ozeanische oder indische Kunst ohne Beziehung nebeneinanderstanden, versucht der Kurator diese Künste unter dem Rubrum der alles verbindenden, bildlich denkenden Kreativität wieder zusammenzubringen. In fünfzehn Kapiteln bietet Martin je neue Bilddenkanstöße, die nicht durch Themen eingeschränkt sind (alle lauten „Von . . . bis“, also beispielsweise „Vom Bacchanal zum Bistro“ oder „Vom Betrug zur Enthauptung“) – in dieser Form sind sie in keinem Museum zu finden. Sie erinnern eher an die legendäre Pariser Schau der Surrealisten 1936, in der Breton, Dalí und Co. unter einem Himmel aus Betonsäcken und zugleich wie in einer Kunstkammer des Barock lustvoll Naturalia mit Artificialia vernähten, und insbesondere an Aby Warburgs Mnemosyne-Atlas der globalen Bildwahlverwandtschaften, der zusätzlich High and Low miteinander versöhnte.

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