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#Ein Sonnenstrahl, durch einen Diamanten gebrochen

Ein Sonnenstrahl, durch einen Diamanten gebrochen

„Das Publikum hat mich entdeckt“, sagt Edita Gruberová trotzig-stolz, „nicht die Intendanz.“ Obwohl sie an der Wiener Oper bei ihrem Debüt als Königin der Nacht am 7. Februar 1970 großen Erfolg gehabt hatte, musste sie sich in den ersten fünf Jahren meist mit kleinen Rollen – mal der Magd X oder der Priesterin Y oder dem Blumenmädchen Z – begnügen. Aber das stachelte den Ehrgeiz der am 23. Dezember 1946 im slowakischen Rača geborenen und am Konservatorium von Bratislava ausgebildeten Sopranistin erst recht an, sich auf große Partien vorzubereiten. Mit ihrer „wunderbaren, zähen, sorgfältigen Lehrerin Ruthilde Boesch“ studierte sie die für sie zunächst als unsingbar eingeschätzte Partie der Zerbinetta in Richard Strauss’ „Ariadne auf Naxos“ ein. Als die Intendanz für eine neue Einstudierung einen Gaststar meinte engagieren zu müssen, erzwang sie ein Vorsingen vor dem Dirigenten der Aufführung: Karl Böhm. Am 20. November 1976 hatte sie den Durchbruchserfolg. Als sie die Partie später an der Metropolitan Opera sang, an der sie zuvor als Königin der Nacht debütiert hatte, schwärmte James Levine, „eine solche sängerische Brillanz“ noch nie erlebt zu haben. 1978 endlich versetzte sie die Wiener Oper in der Titelpartie von Gaetano Donizettis „Lucia di Lammermoor“ in eine „A star is born“-Stimmung.

Für mehr als zwei Jahrzehnte blieb sie der Garant für solche Hochstimmung. Als sie die Lucia 1991 erstmals in München sang, raubte sie dem Publikum – mit den Worten des verzückten Joachim Kaiser – „den letzten Atem, die Besinnung und auch den letzten Rest jener Reserve, die manche gegen Donizettis Kunst gehabt haben mögen“. Reflex jenes Erfolgs auf dem Zerbinetta-Hochseil waren die vielen Aufnahmen, die mit ihr seit Ende der Siebzigerjahre entstanden: Mozarts „Zauberflöte“ unter Alain Lombard, später unter Bernard Haitink und Nikolaus Harnoncourt; „Ariadne auf Naxos“ und „Händel und Gretel“ unter Georg Solti; Mozarts „Entführung aus dem Serail“ unter Heinz Wallberg, dann auch unter Solti. Mit fünf Solo-Recitals in den Achtzigerjahren hielt sie die prächtigsten Plädoyers für „die Kunst der Koloratur“ – sei es mit Mozarts auf das hohe G führender Konzert-Arie „Popolo di Tessaglia“, dem Kuss-Walzer von Luigi Arditi oder einigen Nachtigallenweisen. Als sie 1993 in Tokio mit einem Anniversary-Konzert das 25. Jubiläum ihres Debüts feierte, begann sie mit einer Vokalise, die Camille Saint-Saëns für das Bühnenstück „Parysatis“ geschrieben hat: musikalisch vielleicht eine Petitesse, durch das Singen in hohe, in sublime Kunst verwandelt: durch zart-ziselierte Lineaturen in der höchsten Lage; durch makellos geformte auf- und absteigende chromatische Phrasen; durch glockenklare Staccati und elegische Triller.

In den Achtziger- und Neunzigerjahren folgt die mit Blick auf die Stimme sorgsam kontrollierte Expansion des Repertoires. Sie sang, auf der Bühne sowohl wie auf der Klangbühne, die zentralen Partien von Mozart: Elettra, Konstanze, Donna Anna und, denkwürdig, Gunia in „Lucia Silla“ unter Nikolaus Harnoncourt, der sie besonders schätzte; weiter sechs Partien von Bellini, darunter Norma (leider zu spät) und acht von Gaetano Donizetti; Verdis Gilda und Violetta, diese unter Carlos Kleiber an der Met. Endlich vier Frauenrollen in Jacques Offenbachs „Les Contes d’Hoffmann“. Ein einzigartiger Moment: der lange, lange Triller der im Singen, durch das Singen sterbenden Antonia.

Als ihr aber, opernpathetisch gesprochen, der Thron der „Regina“ zugestanden hätte, war sie eine Königin ohne Reich. Mit dem Sänger-, dem Star-Theater war kein Staat mehr zu machen. Sie galt als Anachronismus, als Diva von gestern. Sie musste sich dazu entscheiden, ihre Kunst in konzertanten Aufführungen zu zeigen. Oder sie hat ihre Kunstfertigkeit dergestalt demonstriert, dass sie einen Ton in höchster Höhe ansetzte, ihn hielt und hielt und, den Kopf in alle Richtungen drehend, dem Publikum darbot wie eine zauberische Delikatesse. Ja, so war man mit Alfred Polgar zu sagen geneigt, „das ist schon eine Kunst, auch wenn es keine Kunst ist“.

Es war der klug-sensible Regisseur Christoph Loy, der, nachdem er sie als Elvira in Bellinis „I Puritani“ erlebt hatte, an Peter Jonas, den Intendanten der Bayerischen Staatsoper, die Bitte richtete, mit Edita Gruberová zu arbeiten. Im Jahre 2004 musste sie zum ersten Mal, wie sie später scherzhaft in einem Gespräch sagte, in der Rolle von Donizettis „Elisabetta“ in „Roberto Devereux“ keine historischen Kostüme mehr tragen. Dem Regisseur ist zu verdanken, dass die Virtuosa als Singdarstellerin befreit wurde, wohl auch im Singen selber. In den ersten Jahren hatte die Stimme, gerade wenn dem (scharfen) Ohr des Mikrofons ausgesetzt, hart oder herb, gleißend oder glitzernd geklungen; hat geleuchtet wie ein durch einen Diamanten gebrochener Sonnenstrahl. Ihr Singen bekam reichere, tieferen Schattierungen, auch durch die Grenzgänge des Leisen.

Vor zwei Jahren, nach einer Laufbahn von 51 Jahren, hat Edita Gruberová in München als Elisabetta von der Bühne Abschied genommen. Ihre singuläre Laufbahn lässt sich, wie banal es klingt, an Zahlen ablesen: etwa daran, dass sie die Königin der Nacht, Lucia und Zerbinetta jeweils in rund 200 Aufführungen gesungen hat. Am Montag ist sie, die letzte Assoluta, gestorben.

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