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#Toll!

Toll!

Eines der interessantesten Phänomene der gegenwärtigen Politik ist ihre Vergesslichkeit. Das Gedächtnis wurde dabei durch inhaltsleere Images ersetzt, die mit Worthülsen Tiefgang suggerieren. Dazu gehört zweifellos auch die Idee der sagenhaften Basisdemokratie bei den Grünen. Schon im Jahr 1993 beschrieb der Hamburger Politikwissenschaftler Joachim Raschke den Erfolg von Joschka Fischer unter anderem mit seiner Fähigkeit zur Cliquenbildung und einem stabilen persönlichen Netzwerk zu.

Damit wurde der spätere Bundesaußenminister zum Alleinherrscher bei den Grünen, ohne jemals Parteivorsitzender zu sein. Die Grünen wurden über diese informellen Machtstrukturen zu einer autoritär geführten Partei, wo die Basisdemokratie als  Lachnummer aus Gründungszeiten galt.

Politisches Marketing zur Stimmenmaximierung

Bekanntlich sind die Grünen seit dem Abgang des großen Alleinherrschers im Jahr 2005 in der Opposition. Dort eilten sie von Wahlniederlage zu Wahlniederlage, zuletzt im Jahr 2017. In dieser Legislaturperiode sollte sich das ändern, weil sich die Grünen angesichts des Verfalls der großen Koalition als die einzige relevante Oppositionspartei positionieren konnten. Das lag allerdings nicht an der Basisdemokratie seligen Angedenkens. Vielmehr haben sich die Grünen professionalisiert, nicht zuletzt bei der Rekrutierung ihres Spitzenpersonals.

Die gestern gekürte Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hat ihr Erwerbsleben in den Netzwerken ihrer Partei verbracht, was den klassischen Karrieremustern von Berufspolitikerin entspricht. Wenn die Grünen somit ihren beiden Parteivorsitzenden den Alleinvertretungsanspruch auf die Nominierung eines Kanzlerkandidaten überlassen haben, entspricht das der bewährten Logik ihres Politikverständnisses. Das hat weniger mit Inhalten zu tun, sondern ist den Überlegungen des politischen Marketings zur Stimmenmaximierung geschuldet.

Klischees und dann Applaus

Das alles kann man wissen, muss man aber nicht. Aber dass man ein Interview mit einer gerade ausgerufenen Kanzlerkandidatin sogar ohne jeden Anschein des Denkens führen kann, war eine neue Erfahrung. Diese ermöglichte uns der Privatsender Pro Sieben in seiner gestrigen Ausgabe von „Hart aber fair“: Das Interview – wenn man diese Posse denn so nennen wollte – führten Katrin Bauernfeind und Thilo Mischke. Natürlich durfte das Klischee von der grünen Basisdemokratie nicht fehlen, das war aber auch schon als intellektuelle Höchstleistung des Abends anzusehen. Ansonsten wollte die ihre Gesprächspartnerin mit einem ausdauernden Lächeln anschmachtende Bauernfeind etwa wissen, ob der Kanzlerkandidatin nicht heute „der Arsch auf Grundeis gegangen“ sei.

Bauerfeind fand auch schon einmal eine Antwort „toll“ – und entschuldigte sich für das Unterbrechen der Gesprächspartnerin. Ansonsten war bei den Fragen weder eine Struktur, noch ein Gedanke über Politik festzustellen. Welche Rolle Mischke in dieser Groteske spielte, blieb leider im Dunkeln. Immerhin wurde aber deutlich, wie Frau Baerbock spricht. So benutzte sie fünfmal den schon vor Fischers Alleinherrschaft politisch sinnentleerten Begriff „Herausforderung“, wobei sie sogar eine große oder eine riesenhafte sein konnte.

Ansonsten blieben die Aussagen der Kanzlerkandidatin in der Beliebigkeit der Reklame stecken, die die beiden Helden postmoderner Interviewführung wohl für Politik gehalten haben. So spendeten sie Annalena Baerbock am Ende jenen verdienten Applaus, was zwar nicht der Kanzlerkandidatin, aber diesem Interview die Krone aufsetzte.

Die Verbissenheit der Matadore, erklärt

Im Gegensatz dazu ist das politische Marketing der CDU verbesserungsfähig. Deren Vorsitzender Armin Laschet muss zur Zeit auch nicht befürchten, von einer Interviewpartnerin mit einem ausdauernden Lächeln angeschmachtet zu werden. Ob das beim bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) anders sein könnte, ist nicht bekannt.

Trotzdem lieferte dieses Interview auf Pro Sieben vielleicht eine Erklärung für die Verbissenheit, mit der die beiden Matadore um die Kanzlerkandidatur der Union gekämpft haben. Denn Annalena Baerbock machte dort nicht den Eindruck, eine wie immer geartete Herausforderung beim bevorstehenden Kampf um das Kanzleramt sein zu können. Aus journalistischer Perspektive zeigte sich bei „Hart aber fair“ dafür die Differenz zwischen einem kompetenten Moderator und zwei applaudierenden Stichwortgebern. Dabei stand diese Sendung sogar noch unter dem Schatten einer auf Twitter live übertragenden Bundesvorstandssitzung der CDU.

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