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#Triage wird Alltag, Menschen verhungern

Triage wird Alltag, Menschen verhungern

Es ist Anfang November, die Temperaturen sind empfindlich unter null gesunken. Wohl dem, der jetzt ein warmes Dach über dem Kopf hat. Aber nicht mehr lang. Erst drehen nachts die Anzeigen der Kraftwerksgeneratoren in Sachsen durch, dann gehen in Brandenburg die Lichter aus. Das Stromnetz ist tot. In Leipzig hängt im Freizeitpark eine voll besetzte Achterbahn kopfüber in der Höhe.

Der Innenminister kapiert es nicht

Innenministeriumsmitarbeiterin Frauke Michelsen (Marie Leuenberger) wartet am Berliner Bahnhof vergeblich auf den ICE mit ihren unbegleiteten Zwillingstöchtern. Er ist auf freier Strecke stehen geblieben, ohne Handyempfang und Heizung. Innenminister Severin (Herbert Knaup) hält den weitflächigen Ausfall noch für eine Lappalie. Wenn in den nächsten zehn Minuten niemand Selfies posten oder die Toilette benutzen könne, nun ja. Die Systeme seien doch sicher. Man bestelle die Netzbetreiber ein und erinnere sie an ihre Verpflichtungen. Die allerdings finden die Ursache nicht und weisen die Verantwortung von sich.

Soll der nationale Notstand ausgerufen werden? Es herrscht Kompetenzgerangel, die Öffentlichkeit bleibt im doppelten Sinn im Dunkeln. AKWs zeigen gefährliche Störungen an. Es finden sich zu wenige Generatoren für die Notversorgung. Die Verantwortlichen sind naiv und planlos. Mittendrin schwebt ein Bundeskanzler, der so entrückt wirkt wie ein technikgläubiger Demiurg, der den Untergang abgeschafft zu haben meinte. An einen Terroranschlag, ein grenzüberschreitendes Hackerproblem glaubt zunächst nur ein Einzelner, der bald als Hauptverdächtiger von internationalen Sicherheitsorganen und dem knorrigen deutschen Spezialisten Jürgen Hartlandt (Heiner Lauterbach) gejagt wird: der Informatiker Pierre Manzano (Moritz Bleibtreu), eine einsamkeitsumflorte, zweifelhafte Gestalt mit krimineller Vergangenheit, Pizzabote auf Bewährung und enttäuschter Anarchist, dessen Revolutionsträume auf dem G-8-Gipfel in Genua vor 20 Jahren in Polizeigewalt endeten.

Komplexe Heldenfiguren sind erzählökonomisch immer besser als eindimensionale Lichtgestalten, und nicht nur in dieser Hinsicht macht die sechsteilige Katastrophenserie „Blackout“ (Joyn+) manches richtig. Die Aktualität des Themas Stromabhängigkeit kann man nicht leugnen. Das Thema Cybersecurity, der Schutz kritischer Systeme, steht auf der Tagesordnung wie nie. Zugleich ist den meisten schleierhaft, wie die zugrunde liegende Technik funktioniert. Desinformation und Unsicherheitsgefühle geben nicht nur der „Prepper“-Szene Nahrung.

Fiktionale eierlegende Wollmilchsau

Weitverzweigt viele Nebenhandlungen bewegend, ist „Blackout“ eine Art fiktionale eierlegende Wollmilchsau. Nicht bloß ein akribisch recherchierter Umwelt- und Politthriller, sondern eine Serie mit dem Anspruch „Thriller Plus“: Gesellschaftskritischer Zerfallsbericht, bietet er verschiedene familienpsychologische Aufstellungen an (Michelsens Ex-Mann [Axel Barry Atsma], ein verantwortungsloser Künstler, ergo Inbegriff des Egoisten, sucht die Kinder und sein verlorenes Glück), und nicht zuletzt zeigt er auch Gruselkitsch mit Märchenmotiven (Michelsens Kinder werden von einem Fleischer mitgenommen, der abends bei Kerzenschein die Messer wetzt und sie später tief in den unheimlichen Wald führt wie weiland Hänsel und Gretel).

Im Original ist der Bestseller „Blackout – Morgen ist es zu spät“ von Marc Elsberg von 2012, denn um eine Verfilmung handelt es sich bei dieser Produktion von Wiedemann & Berg, ein Schmöker von mehr als 800 Seiten, eine dreistellige Figurenanzahl tritt auf. Das Drehbuch von Lancelot von Naso (auch Regie, zusammen mit Oliver Rihs) und Kai-Uwe Hasenheit konzentriert das Geschehen immer wieder auf die Figuren Manzano und Michelsen. Dass er beim Wettlauf gegen das Chaos der Dubiose sein darf und sie bloß Leadership-Ikone mit einem Wertekompass wie aus dem Management-Seminar, ist nur deswegen lässlich, weil Marie Leuenberger ihrer Rolle viele Zwischentöne abringt.

Hier und da fallen Kompromisse in der Bildgestaltung (Kamera Kolja Brandt und Jann Doeppert) auf. Wenige Komparsen entfesseln eben keine Straßenschlacht mit Hollywood-Dimensionen. Dass man sich in der Darstellung von Gewalt zurückhält, ist bemerkenswert. Dieselbe Zurückhaltung gilt aber leider auch bei der Ausmalung internationaler Schauplätze. Überall auf dem europäischen Kontinent fällt hier der Strom aus. In den Bergen schreien die Kühe vor Schmerzen, weil die elektrische Melkanlage streikt. Im Krankenhaus verabreicht eine Ärztin nicht transportfähigen Patienten eine tödliche Dosis. Triage wird Alltag, bis aufs Blut wird um Benzin gekämpft, Menschen erfrieren, verhungern. In Berlin beschließt der Bundeskanzler, humanitäre Hilfe aus Russland abzulehnen, in den Straßen wachsen Müllberge. Die Folgen eines möglichen allgemeinen Stromausfalls zeigt „Blackout“ überzeugend. Mit Jessica Schwarz, Stephan Kampwirth, Hannah Hoekstra, Claudio Caiolo, Francis Fulton-Smith und vielen weiteren wird die Serie großes Publikum finden, spätestens nächstes Jahr bei der Ausstrahlung auf Sat.1.

Blackout läuft auf dem Portal Joyn+.

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