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#Triumph der Eigeninitiative

Triumph der Eigeninitiative

Eine märchenhafte Herleitung der Geschlechterdifferenz geht so: Mädchen kommen aus Rosen, Jungen aus Kohlköpfen. Es gibt Kulturen, da bringt die Kinder der Storch, und dann gibt es welche, bei denen wachsen sie im Gemüse. Die französische Filmemacherin Alice Guy kannte die Geschichte mit dem Gemüse und adaptierte sie im Frühjahr 1896 zu einem kleinen Film: „La Fée aux Choux“, auf Deutsch „Die Fee der Kohlköpfe“, gilt heute als erster Spielfilm der Geschichte.

Er war eine gute Minute lang, ist verschollen, wird manchmal mit einem Re­make aus dem Jahr 1902 verwechselt („Sage-femme de première classe“, Regie wieder Alice Guy), aber trotz der unvollständigen Quellenlage lässt sich eine Be­hauptung aufstellen, die heute zunehmend an Gewicht gewinnt: Von den An­fängen des Kinos wurde bisher unzureichend er­zählt. Die geläufige Version, dass die Brüder Lumière den Kinematographen und das dokumentarische Bewegtbild erfanden, der Konkurrent Méliès dann das Spektakelkino, muss ergänzt werden. Alice Guy ist in dieser neuen Konstellation entweder die Begründerin des Erzählkinos oder ge­nauer: „the first great comic director“.

Als „the first great comic director“ wird Alice Guy-Blaché nun kanonisiert.


Als „the first great comic director“ wird Alice Guy-Blaché nun kanonisiert.
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Bild: Eclairplay

So hört man es in dem Film „Be Natural – Die Filmpionierin Alice Guy-Blaché“ von Pamela B. Green. Alice Guy heiratete 1907 den Kameramann Herbert Blaché, der in gewisser Weise ihr Verhängnis wurde, aber den Doppelnamen trug sie ihr Leben lang, und so wird sie nun auch kanonisiert. Ende des 19. Jahrhunderts aber, als sie Stenotypistin bei der Firma Gaumont war, hieß sie Alice Guy. Und sie tat etwas, was Vorgesetzte bei Mitarbeiterinnen damals nicht begrüßten: Sie überschritt ihren Aufgabenbereich. Wie es konkret dazu kam, dass sie sich als Filmemacherin betätigte, lässt sich nicht mehr im Detail rekonstruieren, es hatte aber auf jeden Fall mit Eigeninitiative zu tun. Gaumont war ein Medienkonzern im Werden, die Geräte waren da, weil die Firma damals intensiv an Ton-Bild-Kopplungen arbeitete, also im Grunde an Vorformen des Tonfilms, der dann erst mehr als dreißig Jahre später alltäglich wurde.

Filme waren anfangs ganz kurz, es kursierten die unterschiedlichsten Formate. Alice Guy drehte vor allem 60-mm-Filme (oder noch genauer: 58 mm), und sie trug maßgeblich dazu bei, dass das frühe Kino eine Erzählsprache entwickelte. „Die Fee der Kohlköpfe“ ist da noch ganz unbefangen, das Bild ist frontal aufgenommen, der Clou besteht in dem Trick oder Spezialeffekt, dass hinter den großen Kohlköpfen Platz für ein Baby war, das die Fee mit Aplomb hervorholte. Die ersten Jahre des Kinos waren geprägt von dem Enthusiasmus, der mit neuen Medien zu Beginn fast immer einhergeht. Einer der Vergleiche, der in „Be Natural“ angestellt wird, zielt nicht von ungefähr auf die Disruptionen, von denen der gegenwärtige Alltag fast selbstverständlich bestimmt wird: Alice Guy-Blaché war in dieser Sicht der oder ein „Steve Jobs ihrer Zeit“.

Für eine detaillierte Rekonstruktion dieser Periode reicht in „Be Natural“ die Zeit nicht, dazu konsultiert man besser das Buch von Alice McMahan, das als Vorlage diente: „Alice Guy-Blaché. Lost Visionary of Cinema“ ist inzwischen auch schon bald zwanzig Jahre alt. In diesen Jahren hat sich die Editionslage weiter verbessert. Es werden immer wieder alte Filme auf Nitrat-Basis gefunden und rekonstruiert, und auch in Fragen der Zuordnung ist man inzwischen aufmerksamer. Denn die Historiographie des Kinos war lange Zeit von Standardwerken aus den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt, als das kritische Sichten und Sammeln von Filmschätzen gerade erst begann und oft Halbwissen die Darstellung prägte.

Schon über das frühe „Kino der Attraktionen“ hinaus

So führte die lange Zeit fast unangefochtene Filmhistorie von Georges Sadoul die Jesus-Geschichte „La Vie du Christ“ aus dem Jahr 1906 unter dem Namen eines Mitarbeiters von Alice Guy. Auf Grundlage der Bildmotive der damals sehr weit verbreiteten Tissot-Bibel hatte sie einen Leben-Jesu-Film ge­macht, der einerseits durch den Realismus der (gemalten) Landschaften des Heiligen Landes punkten wollte, andererseits den „Intuitionen“ von Jacques Joseph Tissot folgte. In jedem Fall erwies Alice Guy sich hier als eine Filmemacherin, die über das ganz frühe „Kino der Attraktionen“ (also weitgehend unverbundener Einzelideen) schon hinaus war. 1906 entstand „Les Résultats du féminisme“, von dem es in „Be Natural“ heißt, dass Sergej Eisenstein sich davon inspirieren ließ. Dieser Filmtitel ist für heutige Lesarten natürlich suggestiv. Und es gibt ja auch tatsächlich eine „feministische“ Selbstinterpretation von Alice Guy-Blaché, in der sie einfach darauf Wert legt, dass das Kino in keinem seiner Bereiche Aufgaben stellt, die nicht auch von Frauen erfüllt werden können.

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