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Überall ist Wunderland

„Keine Kredite“, so steht es auf dem Schild über der Hütte am Hafen des Seeräubernests. Wie um dem Nachdruck zu verleihen, jagt eine leichtbekleidete Frau einen offenbar wenig betuchten Kunden mit Fußtritten davon, eine Kollegin von ihr zieht einem weiteren Kunden eine Flasche über den Schädel. Über ihr Gewerbe muss man nicht lange rätseln. Die Hütte steht in einer Art Geschäftszeile, umgeben von Läden, in denen man bei einem Kunstmaler Piratenflaggen und nebenan milieugerechte Haustiere wie Affen oder Papageien kaufen kann. Vor dem Kunstmaler erleichtert sich ein Mann, die Trinkflasche noch in der Hand, er schaut uns dabei fröhlich an. Und in einem Versteck zwischen Palmenblätter küssen sich zwei Piraten.

Zu sehen ist das auf einer Panoramadoppelseite in „Mein Piraten Wimmelbuch“ von Ali Mitgutsch. Es ist Teil einer einzigartigen Erfolgsgeschichte, die 1969 begann, als Mitgutsch für „Rundherum in meiner Stadt“ den Jugendliteraturpreis erhielt. Seitdem sind um die siebzig Wimmelbücher – etwa: „Bei uns im Dorf“, „Hier in den Bergen“ oder „Unsere große Stadt“ – in unterschiedlichen Ausgaben erschienen, das Gesamtwerk des Künstlers wurde nach Angaben des Ravensburger Verlags mittlerweile gut acht Millionen mal verkauft, davon drei Millionen mal im Ausland.

Durchgängig erzählte Geschichten enthalten Mitgutschs Wimmelbücher kaum. Eher nehmen die Seiten über das Thema des jeweiligen Buches aufeinander Bezug. Trickreich verwobene Erzählstränge, die an einzelne Figuren oder deren Konstellationen gebunden wären oder gar als über die Grenze der jeweiligen Büchern fortgesetzte Geschichten auftauchen, findet man hier nicht, im Gegensatz zu den großformatigen Pappbilderbüchern aus dem fiktiven Ort „Wimmlingen“, die Rotraut Susanne Berner mit großem Erfolg publiziert, oder auch zu den „Torten“-Büchern des Illustrators Thé Tjong-Khing.

Lieber Entdecken als Staunen

Mitgutschs Ansatz ist ein anderer. In dem Teil seines Bilderbuchwerks, für den sich später der Genretitel „Wimmelbücher“ eingebürgert hat, ist jedes Umblättern ein kleiner Neuanfang. Dann öffnet sich der Blick auf eine Bühne ohne zentralen Punkt, die Absicht des Künstlers liegt zweifellos darin, kleine wie große Betrachter in seinem Bild auf die Reise zu schicken, sich von Station zu Station zu bewegen und dabei den Wald in lauter Bäume aufzulösen. Ihnen ergeht es wie den Städtern auf dem Bauernhof, die Mitgutsch auch einmal abgebildet hat: Sie erkunden neugierig und überrascht die Welt, die der listige Künstler ihnen öffnet, und manchmal geraten sie dabei auch ins Straucheln wie der städtisch gekleidete Junge auf der eingezäunten Weide über einem Kuhfladen, wenn sie, von ihren Vorstellungen geleitet, wesentliche Dinge erst auf den zweiten Blick erkennen. Und als Erwachsene ihren fragenden Kindern etwa auf den Bildern des arglos gekauften Piratenbuches manches erklären müssen.

Ali Mitgutsch, geboren am 21. August 1935 und gestorben am 10. Januar 2022 in München, im Sommer 2005 im Bilderbuchmuseum in Troisdorf


Ali Mitgutsch, geboren am 21. August 1935 und gestorben am 10. Januar 2022 in München, im Sommer 2005 im Bilderbuchmuseum in Troisdorf
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Bild: dpa

Mit diesen Panoramen, die einen Ausschnitt der Welt zusammenfassen, knüpft Mitgutsch an ehrwürdige Kinderbuchtraditionen an, die er zugleich in die Gegenwart seines Buchs überführt – das ist der Grund, warum man sie nach teils einem halben Jahrhundert Publikationsgeschichte auch nicht zeitlos nennen möchte – und dekonstruiert sie zugleich durch einen Malstil, der das Erhabene früherer solcher Werke ausdrücklich vermeidet: Mitgutschs Leser sollen lieber Entdecken als Staunen, sie sollen beteiligt statt überwältigt werden.

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