Wissenschaft

#Unser Gehirn funktioniert auf verschiedenen Zeitskalen

Innerhalb weniger Millisekunden verarbeitet unser Gehirn sensorische Reize. Komplexe Entscheidungsprozesse können es dagegen über Minuten beschäftigt halten. Diese unterschiedlichen Zeitskalen spiegeln sich auch in der Aktivität der Neuronen. Je nach Aufgabe ändern diese ihre Zustände rapide oder in gemächlicherem Tempo. Eine Studie zeigt nun, dass die unterschiedlichen Zeitskalen von den Verknüpfungen der neuronalen Netze abhängen. Die Ergebnisse geben Einblicke darin, wie unser Gehirn Informationen flexibel integriert.

Die Neuronen in unserem Gehirn feuern unterschiedlich schnell. Zum einen unterliegt ihre Aktivität intrinsischen Schwankungen, die unter anderem auf unterschiedlichen Abklingzeiten der Erregung beruht. So arbeiten die sensorischen Bereiche unseres Gehirns, die rasch auf neue Reize reagieren müssen, auf einer schnelleren Zeitskala als der Assoziationskortex und der präfrontale Kortex, die an komplexeren Aufgaben beteiligt sind. Zum anderen ändert sich die Feuerrate bei spezifischen Aufgaben. Während sich diese aufgabeninduzierten Zeitskalen direkt auf die Ausführung der Aufgabe beziehen, ist wenig darüber bekannt, ob sich auch die intrinsischen Zeitskalen während kognitiver Aufgaben verändern und flexibel an die Herausforderungen anpassen.

Schnelle und langsame Aktivität

Um diese Frage zu klären, kombinierte ein Team um Roxana Zeraati von der Universität Tübingen Daten aus früheren Publikationen mit neuen Computersimulationen, die die Ergebnisse nachbilden und Schlüsse über die zugrundeliegenden Mechanismen ermöglichen. In den Experimenten aus früheren Studien waren Makaken darauf trainiert worden, einen Punkt auf einem Bildschirm zu fokussieren und auf Veränderungen verschiedener visueller Stimuli zu reagieren. Hirnstrommessungen zeichneten währenddessen die Aktivität im visuellen Kortex V4 der Affen auf, der für diese Art von Aufmerksamkeit zuständig ist. Bei dieser Art der Messung zeigen Spitzen im Elektroenzephalogramm, die sogenannten Spikes, die Aktivität der Neuronen an.

„Die laufende Spike-Aktivität entwickelte sich über mindestens zwei unterschiedliche Zeitskalen, eine schnelle und eine langsame“, berichtet das Forschungsteam. Zudem ließen sich während der Aufgabe Fluktuationen innerhalb der langsamen Zeitskala beobachten: Wenn der Affe sich durchgehend auf den vorgegebenen Punkt fokussierte, verlor die langsame Aktivität der Neuronen in den entsprechenden Bereichen noch weiter an Tempo. Sollte er dann auf eine Veränderung des visuellen Reizes reagieren, ging gerade diese verlangsamte Neuronenaktivität mit den kürzesten Reaktionszeiten einher.

„Dies mag der Intuition widersprechen, ist aber im Grunde sehr plausibel“, erklärt Zeraati. „Eine langsamere Zeitskale bedeutet, dass es eine stärkere Korrelation zwischen dem gegenwärtigen Zustand des Gehirns und seinem gerade vergangenen Zustand gibt. Wenn die Neuronen mit etwas beschäftigt sind, erinnern sie sich besser an ihre eigene Vergangenheit; und das bedeutet Verlangsamung.“

Netzwerkstruktur bestimmt die Zeitskalen

Doch wie kann ein Netzwerk aus Neuronen diese unterschiedlichen Zeitskalen hervorbringen? Um den Ursachen und Mechanismen auf den Grund zu gehen, erstellte das Team eine Computersimulation der neuronalen Netzwerke und Prozesse und testete daran drei verschiedene Hypothesen: Rühren die verschiedenen Zeitskalen daher, dass die beteiligten Neuronen unterschiedlich schnell arbeiten? Sind ihre verschiedenen biophysikalischen Eigenschaften verantwortlich? Oder bestimmt die Struktur des Netzwerks die Geschwindigkeit? „Unsere dritte Vermutung stellte sich als die allein richtige heraus“, sagt Zeraatis Kollegin Anna Levina. „Der Schlüssel liegt nicht in den Eigenschaften einzelner Neuronen, sondern in der Struktur des Netzwerks.“

Je nachdem, wie die Neuronen miteinander verbunden sind, entstehen somit unterschiedliche Zeitskalen. Beispielsweise sorgen sogenannte Cluster-Netzwerke für langsamere Verschaltungen. „Man kann ein Cluster-Netzwerk mit dem europäischen Straßennetz vergleichen“, erläutert Levina. „Zwei beliebige Orte in Paris sind sehr gut miteinander verbunden; viel schwieriger ist es, von einem Dorf in Burgund zu einem Strand in Portugal zu kommen.“ Im Gegensatz dazu sieht das Flugliniennetz fast zufällig aus: Es kann schwer sein, von einer Stadt in ihre Nachbarstadt zu kommen, aber mit vielen Anschlussflügen kommt man fast überall hin. „Netzwerke, die den Fluglinien ähneln, können keine so langsamen Zeitskalen hervorbringen wie straßennetzartige Netzwerke“, so die Forscherin.

Konstruierten Zeraatis und ihr Team solche verschiedenartigen Netzwerke am Computer, stimmten die Simulationen gut mit den experimentell beobachteten Zeitskalen überein. Das theoretische Modell erklärt auch die Schwankungen während der Bearbeitung der Aufgaben: Die Interaktionen zwischen den Neuronen werden dabei geringfügig effizienter, so dass sich das Tempo der neuronalen Ereignisse ändert. Auch für zukünftige Studien könnten sich entsprechende Computermodelle als hilfreich erweisen, um die Vorgänge im Gehirn besser zu verstehen. „Unsere experimentellen Beobachtungen und Computermodelle bilden gemeinsam eine Grundlage für eine Untersuchung des Zusammenhangs von Netzwerkstruktur, funktioneller Dynamik im Gehirn und flexibel modulierbarem Verhalten“, so das Autorenteam.

Quelle: Roxana Zeraati (Universität Tübingen) et al., Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-023-37613-7

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