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#Vielleicht war Vater ja auch schon ein Sextourist

Von den Menschen in Deutschland erzählt man sich weltweit gern die Geschichte von der roten Ampel: Die Ampel ist defekt, sie springt nie auf Grün; aber der typische Deutsche, um den es hier geht, würde die Straße nicht überqueren. Er wartet, weil das bei Rot so die Regel ist. Alle wissen, dass das ein dummes Klischee ist, aber es hält sich, und irgendwie muss ein Gespräch ja auch beginnen, wenn Menschen aufeinander treffen, die sich fremd sind, Touristen und Einheimische, zum Beispiel auf Kuba, wie in Bettina Blümners Film „Vamos a la playa“.

Eigentlich wollte Benjamin nur mit Katharina auf die karibische Insel fahren, dann stieß aber kurzfristig, am Flughafen, auch noch Judith hinzu, so dass Benjamin, der nicht eingeweiht war, ein wenig unwirsch von einer „Gruppenreise“ spricht. Die Reise soll nicht nur der Erholung und der Begegnung mit Land und Leuten dienen. Sie hat auch noch ein besonderes Ziel: Wanja, der Bruder von Katharina, ist auf Kuba verschollen. Er wollte dort wissenschaftlich arbeiten, etwas mit Seekühen; jetzt hat man aber schon eine Weile nichts mehr von ihm gehört. Es besteht Grund zu der Annahme, dass Wanja zu einem Aussteiger geworden ist – aus seinem Studium, aus der Familie, aus Deutschland, diesem reichen Land in Europa.

Typisch deutsch? Spare, so bist du froh

Benjamin ist der Reiseleiter, er verwaltet das Budget, das von Katharinas Vater stammt. Geld spielt für diese Familie keine Rolle, und so steigt die Reisegruppe auch in einem vergleichsweise fürstlichen Hotel ab. Benjamin notiert jede Ausgabe, und sei sie auch noch so klein, in seinem Tablet. Er ist, jedenfalls zu Beginn, mehr als nur ein typischer Deutscher, er ist beinahe so etwas wie eine Karikatur, ein Pedant, ein Sparefroh, manchmal auch ein Spaßverderber.

Aber Bettina Blümner lässt ihn als Figur nicht in Negativtypologie verloren gehen. In einem Dialog mit Judith, der er sich allmählich annähert, wird Benjamin (Leonard Scheicher) zum ersten Mal ein bisschen lebendig, und es wird auch das dramaturgische Prinzip des Films erkennbar: eine Art Reigen an Erfahrungen, aus dem sich für die Gruppe immer neue Konstellationen ergeben und in dem die Figuren zunehmend an Komplexität gewinnen.

Sie wedelt mit den Scheinen

Katharina zum Beispiel provoziert gern. Sie spielt ihre Macht aus, die Macht einer reichen Frau auf Kuba. Sie will Sex gegen Geld, beinahe mehr noch aber will sie spüren, dass sie die vielen Männer, die an Intimitäten interessiert sind, manipulieren kann. Sie stößt dabei allerdings auf unerwarteten Widerstand. Sie wedelt ein bisschen zu zynisch mit den Scheinen, die sie vom Konto ihres Vaters abgehoben hat. Sextourismus ist eines der Themen in „Vamos a la playa“, ein Phänomen, das in Kuba nun einmal eine große Rolle spielt. Doch es gehört bei Bettina Blümner in einen größeren Kontext. „Vamos a la playa“ wird interessant durch die Weise, in der hier der Wohlstandsunterschied mit unterschiedlichen Facetten verbunden wird. Die jungen Leute aus Deutschland sind alle Postmaterialisten.

Mit diesem Begriff, der indes nicht fällt, geht meistens ein Generationenverhältnis einher, eine Abkehr von den Zielen der Eltern. Den Vater in Deutschland, der im Film nur indirekt präsent ist, muss man sich wohl als einen eher unangenehmen Alphamann vorstellen, als jemand, der „Beklemmungen“ auslöst, wie es einmal heißt. Er könnte gut und gern, auch das wird angedeutet, selbst einer der alten, männlichen Sextouristen sein, die gelegentlich im Bildhintergrund zu sehen sind. Wie aber behält eine Ferienromanze in einem solchen Kontext ihre Unschuld?

Auch diesen Implikationen geht Blümner, die das kluge Drehbuch gemeinsam mit Daniel Nocke geschrieben hat, in „Vamos a la playa“ nach. Der Film streift immer wieder das Beiläufige, das private Urlaubsvideos haben; ein Eindruck, den die Regisseurin noch dadurch verstärkt, dass sie einen Teil der Dreharbeiten an die gut gewählten Darsteller (neben Leonard Scheicher noch Victoria Schulz und Maya Unger) delegiert hat. Sie bekamen den Auftrag, sich mit Handykameras selbst zu filmen, und damit nimmt „Vamos a la playa“ die heute alltägliche, nie versiegende Bewegtbildproduktion im Alltag in sich auf. So kommen zwanglos technisch-mediale, politische, soziale, jugendkulturelle Themen zusammen.

2008 wurde Bettina Blümner mit dem Dokumentarfilm „Prinzessinnenbad“ bekannt. Darin erzählte sie von drei jungen Frauen aus Berlin-Kreuzberg und erhielt dafür einen Deutschen Filmpreis. Sie kennt Kuba, weil sie einen Teil ihres Filmstudiums dort absolviert hat, die Hochschule in Havanna hatte lange Zeit einen sehr guten Ruf. „Vamos a la playa“ ist nun ein Spielfilm, gedreht mit bescheidenem Budget. Mit einer Großproduktion würde man auf Kuba aber auch nur die Widersprüche reproduzieren, die dieser sehr sehenswerte Film doch versucht, durchzuarbeiten.

Der neue Film von Bettina Blümer „Vamos a la playa“ läuft ab dem 27. April 2023 in den deutschen Kinos.

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