Nachrichten

#Volle Kanne Karikaturistin

Inhaltsverzeichnis

„Volle Kanne Karikaturistin“

Die oben abgedruckte Karikatur ist pressegeschichtlich be­deutend: Sie erschien nach der Bundestagswahl 1965 und war die erste, die Marie Marcks für die „Süddeutsche Zeitung“ gezeichnet hat. Nicht ihre erste, die dort publiziert wurde – das war eine Zeichnung, die kurz zuvor in der Zeitschrift „atomzeitalter“ erschienen und dann von dem Münchner Blatt nachgedruckt worden war (übrigens auch mit Bundeskanzler Ludwig Erhard als Spottgegenstand). Doch der Ehrgeiz der „Süddeutschen“ in Sachen Karikatur war schon immer der größte unter deutschen Tageszeitungen. Also sicherte sie sich Marcks als Mitarbeiterin, und so begann eine zwanzig Jahre währende Zusammenarbeit, die erst endete, als 1985 eine Karikatur der Zeichnerin zur Verschmutzung des Mains durch den Chemiekonzern Hoechst abgelehnt wurde. Marcks vermutete dahinter Rücksichtnahme auf einen Anzeigenkunden und zeichnete danach nie wieder für die „Süddeutsche“. Sie war eine entschiedene Person.

Da war sie selbstverständlich immer noch aktiv: Marie Marcks mit einundneunzig Jahren an ihrem Zeichentisch in Heidelberg.


Da war sie selbstverständlich immer noch aktiv: Marie Marcks mit einundneunzig Jahren an ihrem Zeichentisch in Heidelberg.
:


Bild: Wolfgang Eilmes

Auch eine entschiedene Feministin, ohne dass sie diesen Begriff im Sinne von Alice Schwarzer verstanden sehen wollte. Als (meist) alleinerziehende Mutter von fünf Kindern wusste sie, was Frauen zu leisten hatten, die neben den Herausforderungen durch die Familie auch noch einen Beruf ausübten. Die Doppelzüngigkeit einer Rede von Emanzipation, die biologische Tatsachen ebenso verleugnete wie soziale, war ihr wichtigstes Thema als Karikaturistin. Und es war denn auch eine solche Zeichnung (in der „Süddeutschen“), die 1973 die Aufmerksamkeit und das Amüsement einer damals vierundzwanzigjährige Mitarbeiterin des kleinen Raith-Verlags erregte, die dafür sorgte, das dort im Folgejahr die erste Karikaturensammlung von Marie Marcks erscheinen konnte (die alle großen Verlage abgelehnt hatten).

Marie Marcks zog aus dem eigenen Leben Stoff für ihre Cartoons.


Marie Marcks zog aus dem eigenen Leben Stoff für ihre Cartoons.
:


Bild: Marie Marcks/Verlag Antje Kunstmann

Die junge Frau war Antje Kunstmann, und aus dieser ersten Vermittlung wurde eine lebenslange Bücherpartnerschaft mit Marie Marcks, zumal als Kunstmann selbst Verlegerin wurde, zunächst mit dem Frauenbuchverlag und dann dem nach ihr selbst benannten Unternehmen. Und „lebenslang“ bedeutete nicht, das mit dem Tod von Marie Marcks im Jahr 2014 alles aufgehört hätte, denn solange Kunstmann lebt, sorgt sie weiter dafür, dass Marcks’ Schaffen nicht in Vergessenheit gerät. So auch zum heutigen hundertsten Geburtstag der Karikaturistin und zwar besonders prächtig: mit zwei Bänden in einem Schuber, der den gleich mehrfach zutreffenden Titel „Die große Marie Marcks“ trägt.

Die Vorteile der Männer gegenüber berufstätigen Frauen waren ein großes Thema für Marie Marcks


Die Vorteile der Männer gegenüber berufstätigen Frauen waren ein großes Thema für Marie Marcks
:


Bild: Marie Marcks/Verlag Antje Kunstmann

Sie war eine Spätstarterin, die erst mit einundvierzig (und bereits allen fünf Kindern) ihre bisherige Karriere als Zeichnerin in neue Bahnen lenkte und fortan einige der wichtigsten deutschen Pressepublikationen mit Karikaturen versorgte: neben der „Süddeutschen“ die „Zeit“, den „Spiegel“, den „Stern“ und natürlich die beiden qualitätvollsten Satirezeitschriften, „Pardon“ und „Titanic“. Sie begleitete damit nicht nur kommentierend die deutsche Zeitgeschichte, sondern übte zudem eine Wirkung auf andere Künstler aus, die auf dem Feld des Cartoons ihresgleichen sucht. Über die Wichtigkeit von Marie Marcks für die Frauenbewegung besteht eh kein Zweifel, bedeutende Karikaturistinnen wie Franziska Becker (seit Beginn von „Emma“ deren Hauszeichnerin) oder Katharina Greve (die in jüngster Zeit eine neue Verbindung von Comic und Cartoon begründet hat) berufen sich ausdrücklich auf die Pionierrolle ihrer älteren Kollegin. Und gleichermaßen wichtig ist der Einfluss von Marcks auf Zeichner der Neuen Frankfurter Schule wie Hans Traxler, F. K. Waechter oder Chlodwig Poth, mit denen sie nicht nur redaktionell über „Pardon“ und später „Titanic“ im Austausch stand, sondern auch künstlerisch-freundschaftlich – seit jenen siebziger und achtziger Jahren, die, ausgehend von jenem Kreis, ein ganz neues Verständnis von Komischer Kunst und Nonsens-Art hervorbracht haben, das prägend auch für Künstler wie Sigmar Polke, Martin Kippenberger oder Erwin Wurm geworden ist.

Über das Altern machte sie im Alter gerne Witze: Karikatur aus dem 2005 erschienenen Band „Niemand welkt so schön wie du“


Über das Altern machte sie im Alter gerne Witze: Karikatur aus dem 2005 erschienenen Band „Niemand welkt so schön wie du“
:


Bild: Marie Marcks/Verlag Antje Kunstmann

Das Werk von Marcks steht somit in Deutschland beispielhaft für die Ein­ebnung der Unterschiede zwischen „high“ und „low“, deren Beseitigung die Grundlage für eine heutige deutsche Gegenwartskunst darstellt, wie etwa Jonathan Meese oder Neo Rauch sie re­präsentieren – gerade auch in deren zeichnerischem Werk. Hier liegt zwar keine unmittelbare Beeinflussung durch Marcks vor, aber eine Prägung durch das von ihr erst ermöglichte künstlerische Klima einer Freiheit, die aus politischem und ästhetischem Engagement erwächst und mit der von der tra­ditionellen Malerei verpönten Konturzeichnung das entscheidende Erbteil des Cartoons als zen­trales Prinzip übernommen hat. Die Ar­beiten von Marie Marcks sind deshalb national wertvolles Kulturgut: Sie haben der deutschen Kunst zur Emanzipation in einem Maße verholfen, das weit über die bloße Gleichstellung von Frauen und Männern hinausgeht.

Die Collagenkunst beherrschte sie nicht nur in ihrer gezeichneten Autobiographie: Karikatur von Marie Marcks unter Verwendung von Fotomontage.


Die Collagenkunst beherrschte sie nicht nur in ihrer gezeichneten Autobiographie: Karikatur von Marie Marcks unter Verwendung von Fotomontage.
:


Bild: Marie Marcks/Verlag Antje Kunstmann

Ein Band von „Die große Marie Marcks“ ist deren Karikaturen gewidmet, unter Einbeziehung etlicher ebenfalls karikierend-kommentierender Bildergeschichten. Denn Marcks begriff sich als Erzählerin. Deshalb bietet der andere Band insgesamt mehr als zweihundert Seiten gezeichnete Autobiographie – entnommen den beiden Bänden „Marie, es brennt!“ von 1984 und „Schwarz-weiß und bunt“ von 1989. Diese inhaltlich bis 1968 reichende Lebensgeschichte darf als Marcks’ Hauptwerk gelten. In ihr pflegte die Künstlerin eine Collagetechnik, die ältere Zeichnungen und Archivalien in die neue Bildergeschichte einbezog. Es gibt in seiner Materialität kein ungewöhnlicheres Bildermanuskript in Deutschland. Und es erzählt noch viel mehr als die auch schon höchst informativen und unterhaltsamen Vor- und Nachworte von F. W. Bernstein und Antje Kunstmann, mit denen sie ihrer Freundin ein Denkmal setzen. Doch das wahre Denkmal trägt von nun an den Titel „Die Große Marie Marcks“.

Der Schuber zu den zwei Bänden mit Werken von Marie Marcks


Der Schuber zu den zwei Bänden mit Werken von Marie Marcks
:


Bild: Verlag Antje Kunstmann

„Die große Marie Marcks“.

Hrsg. von Antje Kunstmann. Kunstmann Verlag, München 2022. 2 Bd. im Schuber: „Karikaturen und Bildergeschichten“ und „Autobiographische AufZeichnungen“. 224 und 216 S., geb., zus. 58,– €.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!