Wissenschaft

#Vom Eierlegen zur Lebendgeburt

Die Fähigkeit zur Lebendgeburt ist eine der großen Innovationen der Evolution. Doch wie hat sie sich entwickelt? Das haben Forschende nun erstmals auf genetischer Ebene nachvollzogen. Dazu fokussierten sie sich auf eine Gattung von Meeresschnecken, von denen manche Arten Eier legen, während andere ihren Nachwuchs lebend zur Welt bringen. Die Analysen zeigen, dass die Lebendgeburt offenbar nicht in einem großen evolutionären Schritt entstanden ist. Stattdessen haben sich nach und nach immer mehr Mutationen angehäuft, die die Verweildauer der Eier im Muttertier erhöhten – bis schließlich die Jungen lebend geboren wurden.

Seit Urzeiten pflanzen sich Tiere fort, indem sie Eier legen. Im Laufe der Evolution haben jedoch verschiedene Tiergruppen unabhängig voneinander die Fähigkeit entwickelt, ihren Nachwuchs lebend zu gebären. Doch wie fand der Übergang vom Eierlegen zur Viviparie, also zur Lebendgeburt statt? Gab es eine große Mutation, die dazu führte, dass ein Tier, das selbst aus einem Ei geschlüpft ist, plötzlich seine Jungtiere lebend zur Welt brachte? Oder verlief die Entwicklung schrittweise mit Übergangsformen zwischen Eierlegen und Lebendgeburt?

Littorina-Embryos
Embryos einer lebendgebärenden Littorina-Schnecke in verschiedenen Entwicklungsstadien. © Fredrik Pleijel

Lebendgebärende Meeresschnecke

Eine Antwort auf diese Frage hat ein Team um Sean Stankowski von der University of Sheffield mit Hilfe von Meeresschecken gefunden. „Es ist wichtig, den evolutionären Ursprung von Schlüsselinnovationen zu verstehen, da sie den Verlauf der Evolution dramatisch verändern“, sagt Stankowskis Kollege Roger Butlin. „Beispielsweise hat das Lebendgebären die Grundlage für die Diversifizierung der Säugetiere gelegt. Da jedoch die meisten dieser großen evolutionären Veränderungen sehr lange zurückliegen, gab es bisher nur wenige Möglichkeiten, diese zu untersuchen.“

Meeresschnecken der Gattung Littorina boten den Forschenden in dieser Hinsicht ein einzigartiges Beispiel. Während viele Vertreter dieser Gattung Eier legen, bringen einige Arten, darunter die Felsenstrandschnecke (Littorina saxatilis), ihren Nachwuchs lebend zur Welt. Die Schnecke ist an der Atlantikküste Nordeuropas und Nordamerikas weit verbreitet. Auch an deutschen Nordseestränden finden sich ihre Schneckenhäuser. „Bisher wurden vor allem die verschiedenen Schalenvariationen von L. saxatilis untersucht und nicht, was die Art von ihren eierlegenden Verwandten unterscheidet“, erklärt Stankowski. „Tatsächlich ist diese Schneckenart ein Ausnahmefall, wenn es um ihre Fortpflanzungsstrategie geht.“

Genome im Vergleich

Stankowski und sein Team analysierten das Genom Littorina saxatilis und verglichen es mit dem von eng verwandten Arten, die sich abgesehen davon, dass sie Eier legen, kaum von Littorina saxatilis unterscheiden. „Wir konnten 50 Erbgutregionen identifizieren, welche vermutlich gemeinsam dazu beitragen, ob Individuen Eier legen oder lebende Junge zur Welt bringen“, berichtet Stankowski. „Was die einzelnen Regionen bewirken, wissen wir nicht genau. Durch den Vergleich der Genexpressionsmuster bei eierlegenden und lebendgebärenden Schnecken, konnten wir jedoch viele von ihnen mit Fortpflanzungsunterschieden in Verbindung bringen“

Die Ergebnisse zeigen, dass der Übergang zur Lebendgeburt nicht in einem einzigen, großen Schritt stattgefunden hat, sondern in tausenden kleinen. „Das Alter der Selektionsvorgänge deutet darauf hin, dass sich die für Lebendgebärende spezifischen Allele über mehr als 200.000 Generationen angesammelt haben“, schreibt das Forschungsteam. Die Entwicklung erstreckte sich wahrscheinlich über einen Zeitraum von rund 100.000 Jahren – auf evolutionären Skalen ein sehr kurzer Zeitraum.

Bereit für neue Lebensräume

Die Umstellung auf die Lebendgeburt ermöglichte den Schnecken wahrscheinlich, neue Lebensräume zu erschließen. „Es ist anzunehmen, dass die Lebendgeburt eine Fortpflanzung in Gegenden möglich macht, in denen die Bedingungen für Eier zu rau wären“, erklärt das Team. Im Mutterleib ist der Nachwuchs dagegen vor Raubtieren, Austrocknung und den Einflüssen der Natur geschützt. „Wir vermuten, dass die natürliche Selektion die treibende Kraft für diesen Übergang war. Eine längere Verweildauer der Eier wurde begünstigt, was dazu führte, dass die Jungen schließlich schon im Muttertier aus dem Ei schlüpften“, sagt Stankowski.

Zugleich bedeutete die Veränderung neue Herausforderungen für das Muttertier. „Die zusätzliche Investition in den Nachwuchs führte sicher zu neuen Anforderungen an die Anatomie, die Physiologie und das Immunsystem der Schnecken. Wahrscheinlich sind viele der von uns identifizierten Erbgutregionen an der Reaktion auf diese Art von Herausforderungen beteiligt“, so Stankowski. In zukünftigen Studien will das Team herausfinden, welche Funktion die einzelnen veränderten Gene haben. „Unser Ziel ist es zu verstehen, wie jede genetische Veränderung die Form und Funktion der Schnecken auf ihrem Weg zu lebendgebärenden Tieren schrittweise geprägt hat.“

Quelle: Sean Stankowski (University of Sheffield) et al., Science, doi: 10.1126/science.adi2982

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