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#Von guten und bösen Imperialisten

Von guten und bösen Imperialisten

Das Osmanische Reich spielt in der Diskussion um koloniale Verbrechen und postkoloniale Gerechtigkeit eine Schlüsselrolle. Denn einerseits war es ein Imperium, das sich wie andere Imperien verhielt und fremde Territorien unterwarf und ausbeutete, Aufstände unterdrückte und Handelsprivilegien militärisch sicherte. Andererseits geriet es im neunzehnten Jahrhundert zunehmend unter den Einfluss der westeuropäischen Großmächte. Deshalb sprechen manche Vordenker des Postkolonialismus dem Reich der Hohen Pforte eine Opferrolle in der Kolonialgeschichte zu.

Die Zuschreibung hat auch eine strategische Funktion, denn sie macht es leichter, eine Verbindung zwischen heutiger Islamkritik und dem westlichen Imperialismus der Neuzeit herzustellen und zugleich die dreizehn Jahrhunderte umspannende Praxis des Sklavenhandels und -imports in muslimischen Reichen und Staaten hinter einem Dunstschleier verschwinden zu lassen. Der Leitfaden des Deutschen Mu­se­ums­bun­des zum Umgang mit kolonialem Sammlungsgut, in dem die nordafrikanischen Stützpunkte Spaniens im Krieg ge­gen die Osmanen als „formale Kolonialherrschaften“ bezeichnet werden, leistet dieser tendenziösen Deutung Vorschub.

Unter asymmetrischen Machtverhältnissen

In einem „Bildatlas zu Kunstraub und Kulturerbe“, der die illustrierte Hälfte einer Doppelpublikation mit dem Obertitel „Beute“ bildet, wird die Ausgrabung des sogenannten Alexandersarkophags durch Osman Hamdi Bey im Frühjahr 1887 jetzt als „Geburtsmoment der osmanischen Archäologie“ bezeichnet. Der Autor des Beitrags, Sebastian Willert, beschreibt die Bergung des Sarkophags, der heute die Ikone des Archäologischen Mu­se­ums in Istanbul ist, zutreffend als gewaltsame „Extraktion“ mittels „invasiver Methoden“, grenzt sie aber gleichwohl von „häufig illegalen und zerstörerischen“ Ausgrabungen westlicher Staaten und Privatleute auf dem Territorium des Osmanischen Reiches ab. Die Veröffentlichung der Funde von Sidon ha­be dagegen „den wissenschaftlichen Beitrag“ des Reichs demonstriert.

„Beute“. Eine Anthologie zu Kunstraub und Kulturerbe. Hrsg. von Bénédicte Savoy, Robert Skwirblies und Isabelle Dolezalek.


„Beute“. Eine Anthologie zu Kunstraub und Kulturerbe. Hrsg. von Bénédicte Savoy, Robert Skwirblies und Isabelle Dolezalek.
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Bild: Matthes & Seitz Verlag

Ein anderer Beitrag, der von zwei Autoren signiert ist, handelt unter der Überschrift „Mschatta – ein Plan fürs Wegnehmen“ vom Transport der Fassade des jordanischen Wüstenschlosses Mschatta in das wilhelminische Berlin. Hier ist es „die koloniale Infrastruktur“ (sprich: die vom Deutschen Reich gebaute Hedschas-Bahn), die den reibungslosen Ortswechsel des Ob­jekts garantiert, und sein Erwerb ist nicht, wie beim Alexandersarkophag, eine „An­eig­nung“, sondern ein „Entzug“. Das Gleiche gilt für die Verbringung eines Kalksteinreliefs aus der Königsstadt Nimrud im heutigen Nordirak ins British Museum, die in einem weiteren Essay als „Ausdruck der kolonialistischen Erforschung des Großraums Mittlerer Osten“ bezeichnet wird.

Die Vernichtung von Kulturschätzen

Für die Autoren des „Beute“-Bildatlas gibt es, anders gesagt, eine gute und eine böse Archäologie, so wie es einen guten und ei­nen schlechten Imperialismus gibt, und das Gute liegt in beiden Fällen auf der Seite der Osmanen. Sowohl der Nordirak als auch das heutige Libanon, in dem die Stadt Si­don liegt, waren bis 1918 Provinzen des Os­ma­ni­schen Reiches. Nach den Kriterien der Herausgeber zählen alle zuvor von dort erworbenen Artefakte als Beutekunst, weil sie, wie es im Vorwort heißt, „unter asymmetrischen Machtverhältnissen verlagert“ worden sind. Im Fall des Alexandersarkophags erweckt der Band indes den Eindruck, seine Verlagerung nach Istanbul sei ein le­gi­ti­mer Akt der Wissenschaftspolitik gewesen. Man würde zu gerne wissen, was heutige libanesische Kulturpolitiker dazu sagen.

Die Ungleichbehandlung von osmanischem und europäischem Kulturimperialismus ist ein kleiner, aber entscheidender Riss in der Fassade der enzyklopädischen Unparteilichkeit, welche die beiden „Beute“-Bände vor ihren Lesern errichten. Dass die Doppelveröffentlichung, die eine Art Ab­schlussbilanz des von Bénédicte Savoy mit dem Preisgeld ihres Leibniz-Preises fi­nan­zier­ten Projektclusters „translocations“ an der TU Berlin darstellt, kein Handbuch für konservative Museumsleute sein würde, war klar. Dennoch bemühen sich die Herausgeber sowohl im Ton ihrer eigenen als auch in der Text- und Bildauswahl der übrigen Beiträge um einen Anschein von Objektivität. So werden die Räubereien der Kreuzfahrer in Konstantinopel ebenso ge­wür­digt wie das Beutemachen ihrer arabischen Vorgänger in der persischen Metropole Ktesiphon. Der zweite Band, der ei­ne Anthologie von Texten zum Kunstraub enthält, öffnet ein breites Panorama, das von den Tatenberichten der Assyrer bis zu den Anleitungen japanischer Kulturbürokraten zur Ausplünderung Koreas und Ostchinas reicht. Dabei widerlegen viele Fundstücke die postkoloniale Legende von der Gier „der“ Europäer nach fremdem Kulturgut.

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