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#Wählen die Türken Erdogan ab – und würde er das zulassen?

Es kommt nicht häufig vor, dass ein autokratischer Herrscher durch Wahlen aus dem Amt scheidet. Doch genau das könnte an diesem Sonntag in der Türkei passieren. Ein Sieg der Opposition könnte das Land in eine völlig neue Richtung steuern und die Türkei zu einem Vorbild für Oppositionelle in anderen autokratischen Ländern machen.

Wie wahrscheinlich ist ein Sieg der Opposition?

Friederike Böge

Politische Korrespondentin für die Türkei, Iran, Afghanistan und Pakistan mit Sitz in Ankara.

Die meisten aktuellen Umfragen sehen den Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu vorn. Die Frage ist, ob sein Vorsprung reicht, um eine Stichwahl zu vermeiden. Als besonders aussagekräftig gelten die Zahlen des Umfrageinstituts Konda, das bei der Präsidentenwahl von 2018 mit seiner Prognose dem Ergebnis am nächsten kam. Die jüngste Konda-Umfrage sieht Kilicdaroglu bei 49,3 Prozent und Erdogan bei 43,7 Prozent. Der dritte Kandidat Sinan Ogan kommt auf 4,8 Prozent. Die Befragung fand allerdings vor dem Rückzug des ehemals vierten Kandidaten Muharrem Ince statt. Sein Stimmenpotential von 2,2 Prozent könnte Kilicdaroglu zugutekommen und ihn über die 50-Prozent-Marke hieven.

Sollte es dagegen zu einer Stichwahl kommen, fürchten viele Anhänger der Opposition, dass Erdogan die zwei Wochen zwischen dem ersten und zweiten Wahlgang nutzen könnte, um eine instabile Lage zu schaffen. Als mahnendes Beispiel gelten die Parlamentswahlen von 2015. Nachdem die AKP im Juni die absolute Mehrheit im Parlament verloren hatte, rief Erdogan für November Neuwahlen aus. Der Wahlkampf wurde von einem Bombenanschlag mit mehr als 100 Toten überschattet. Der Wunsch nach Stabilität in der Bevölkerung verhalf der AKP zum Sieg. Der Opposition könnte es auch schwerfallen, in einem zweiten Wahlgang noch einmal die gleiche Zahl an Wählern zu mobilisieren. Auch eine Manipulation des Wahlergebnisses ist nicht ausgeschlossen.

Würde Erdogan eine Niederlage akzeptieren?

In einem Fernsehinterview am Freitagabend hat Erdogan auf diese Frage Folgendes geantwortet: „Eine solche Frage kann nur einer Terrororganisation gestellt werden. Wir sind mit demokratischen Mitteln an die Macht gekommen. Wenn meine Nation etwas anderes entscheidet, werden wir tun, was die Demokratie von uns verlangt.“ In Oppositionskreisen wurde das positiv aufgenommen. Am Samstag hat Erdogan allerdings in einer Wahlkampfrede einmal mehr eine Sprache benutzt, die darauf angelegt zu sein scheint, die Legitimität der Wahlen zu untergraben. So warf er Kilicdaroglu vor, gemeinsam mit dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden an seinem Sturz zu arbeiten. Viele Beobachter glauben, dass der Präsident das Ergebnis vor allem dann anzweifeln könnte, wenn es sehr knapp ausfällt. Mahnendes Beispiel dafür ist die Bürgermeisterwahl in Istanbul von 2019, bei der Erdogan trotz eines knappen Siegs der Opposition eine Neuwahl durchsetzte. Das half ihm aber nicht: Der Oppositionskandidat Ekrem Imamoglu gewann die Neuwahl noch höher.

Türkei-Fachleute weisen darauf hin, dass eine gestohlene Wahl wie etwa in Belarus 2020 in der Türkei nicht zu erwarten sei. Dafür seien Wahlen als Legitimationsbasis zu sehr in der türkischen Politik verankert. Die Wahlbeteiligung bei den vorigen Präsidentenwahlen lag bei 86 Prozent. Es gibt zwar Befürchtungen, dass es im Falle einer Niederlage Erdogans zu Gewalt von Seiten seiner Anhänger kommt. Dies könnte Erdogan aber kaum nutzen, um sich im Amt zu halten.

Wie groß ist die Gefahr von Wahlbetrug?

Das hängt davon ab, ob es der Opposition gelingt, die Urnen am Wahltag lückenlos zu überwachen, um zu verhindern, dass sie durch präparierte Urnen ausgetauscht werden. Das Oppositionsbündnis hat nach eigenen Angaben mehr als eine halbe Million freiwillige Wahlbeobachter mobilisiert. Sie stehen vor der Aufgabe, rund 191.000 Wahllokale zu beobachten. In Oppositionskreisen wird befürchtet, dass es insbesondere in den Erdbebengebieten und in den mehrheitlich kurdischen Gebieten im Südosten des Landes Lücken der Überwachung geben könnte. In den Erdbebengebieten deshalb, weil die Übernachtungsmöglichkeiten für Beobachter begrenzt sind. Im Südosten deshalb, weil Freiwillige sich durch Gewalt einschüchtern lassen könnten. Grundsätzlich ist die Opposition auch in den Wahlräten vertreten, die für die Organisation der Abstimmung und Auszählung verantwortlich sind. Allerdings: Im Südosten ist die dort wichtigste Oppositionspartei HDP in den Wahlräten nicht vertreten. Ihre Kandidaten treten unter dem Dach der Grünen Linkspartei an, weil ein Verbotsverfahren gegen die HDP läuft.

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