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#Warum beide Seiten auf Gewalt setzen

Warum beide Seiten auf Gewalt setzen

Zwei Mal seit Beginn des Krieges um Nagornyj Karabach Ende September ist eine Waffenruhe vereinbart worden, und beide Male dauerte es nach ihrer Verkündung nur wenige Stunden, bis Armenien und Aserbaidschan einander gegenseitig deren Bruch vorwarfen. Kaum etwas deutet derzeit darauf hin, dass es zu einem baldigen Ende der Kämpfe kommen könnte.

Reinhard Veser

„Unsere Überlegenheit auf dem Schlachtfeld ist kein Geheimnis mehr“, sagte Aserbaidschans Diktator Ilham Alijew in einer Rede an das Volk am Dienstagabend. „Wir kämpfen auf unserem eigenen Land.“ Aserbaidschan werde damit weitermachen, und Armenien müsse „sich aus den besetzten Gebieten zurückziehen, bevor es zu spät ist“, so Alijew. Schon seit Jahren beharrt er darauf, dass Aserbaidschan ein Recht auf eine militärische Lösung des Konflikts habe. Über internationale Vermittlungsbemühungen spricht er selten, ohne im selben Satz deren Ergebnislosigkeit zu beklagen.

Den ersten Krieg um Nagornyj Karabach in den neunziger Jahren hat Aserbaidschan militärisch verloren. Seither stehen knapp 15 Prozent seines international anerkannten Gebiets unter armenischer Kontrolle: Das schon in sowjetischer Zeit überwiegend von Armeniern bewohnte Nagornyj Karabach und sieben umliegende Verwaltungsgebiete, deren fast ausschließlich aserbaidschanische Bevölkerung damals vertrieben worden ist.

Während es in dem Konflikt aus Aserbaidschans Sicht um die Wiederherstellung seiner territorialen Integrität geht, argumentiert die armenische Seite mit dem Selbstbestimmungsrecht: Der Krieg in den neunziger Jahren begann, nachdem sich die Karabach-Armenier in einem Referendum fast einstimmig für die Unabhängigkeit von Aserbaidschan ausgesprochen hatten.


Bild: F.A.Z.-Karte Levinger

Die Kämpfe, bei denen fast 30.000 Menschen getötet und Hunderttausende auf beiden Seiten vertrieben worden sind, wurden 1994 durch einen von Moskau vermittelten Waffenstillstand beendet. Die vielen seither unternommenen Versuche, den Konflikt politisch zu lösen, glichen der Quadratur des Kreises: Es mussten die in Widerspruch zueinander stehenden Prinzipien der Selbstbestimmung und der territorialen Integrität miteinander versöhnt werden.

2007 haben die Vereinigten Staaten, Frankreich und Russland, die die Vermittlungen im Rahmen der OSZE leiten, Prinzipien vorgelegt, die seither die Grundlage aller weiteren Gespräche sind. Sie sehen vor, dass der endgültige Status von Nagornyj Karabach durch ein Referendum bestimmt werden soll, an dem alle Bevölkerungsgruppen teilnehmen sollen, die vor Beginn des Konflikts dort gelebt haben. Bis zur endgültigen Regelung soll Nagornyj Karabach einen Sonderstatus erhalten, alle aserbaidschanischen Gebiete rings um Karabach sollen wieder Baku unterstellt werden, die Flüchtlinge sollen in ihre Heimat zurückkehren. Zwischen Karabach und Armenien soll ein Verbindungskorridor eingerichtet werden. Und all das soll unter der Aufsicht einer internationalen Friedenstruppe geschehen.

Starke Emotionen auf beiden Seiten

Im Grundsatz haben sich damit beide Seiten einverstanden erklärt – doch ihre Vorstellungen über die Reihenfolge dieser Schritte und deren Details liegen so weit auseinander, dass alle weiteren Gespräche fruchtlos blieben. Das liegt auch an der großen emotionalen Bedeutung, die der Konflikt für Aserbaidschaner wie Armenier hat. Für beide Länder ist die Erlangung ihrer Unabhängigkeit während des Zusammenbruchs der Sowjetunion untrennbar mit dem Karabach-Konflikt verbunden.

Die Hunderttausenden Vertriebenen in Aserbaidschan sind ein politischer sozialer Faktor, den die Herrschenden nicht ignorieren können – auch wenn ihre Lebensbedingungen zeigen, dass dem Regime ihr Wohlergehen nicht sehr am Herzen liegt. In der Frage der Wiederherstellung der territorialen Integrität herrscht in Aserbaidschan Einigkeit zwischen dem Regime und seinen Gegnern.

Nachdem Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre antiarmenische Pogrome in aserbaidschanischen Städten bei den Armeniern Erinnerungen an den Völkermord im Osmanischen Reich 1915 geweckt hatten, ist für sie der aus ihrer Sicht erfolgreiche Krieg um Karabach zu einem Symbol dafür geworden, dass sie nicht dazu verdammt sind, wie damals wehrlose Opfer zu sein. Es ist daher mehr als nur Kriegsrhetorik, wenn die Regierung in Eriwan nun – auch angesichts des Engagements der Türkei aus aserbaidschanischer Seite – davon spricht, dies sei ein Kampf um das Überleben der armenischen Nation. Viele Armenier fühlen sich existentiell bedroht.

Droht die Vertreibung der Armenier aus Karabach?

Vor diesem Hintergrund ließ es aufhorchen, als die Außenminister beider Länder im Januar 2019 eine gemeinsame Erklärung veröffentlichten, in der von der „Notwendigkeit“ die Rede war, „konkrete Maßnahmen zur Vorbereitung der Bevölkerungen auf Frieden zu ergreifen“. Das war noch kein Schritt in Richtung einer Friedensvereinbarung – ließ aber doch hoffen, dass nach Jahren, in denen Aserbaidschan dank seines Öl- und Gasreichtums massiv aufgerüstet hatte, wenigstens so etwas wie vertrauensbildende Maßnahmen beginnen könnte.

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Es blieb bei der Ankündigung. Die Beziehungen verschlechterten sich rasch wieder. Wie genau die Kämpfe am 27. September begonnen haben, ist zwar unklar, aber es bestehen kaum Zweifel, dass Aserbaidschan den Krieg herbeigeführt hat. Die Frage ist, welches Ziel das Regime in Baku verfolgt: Will es durch eine Demonstration seiner militärischen Überlegenheit und Geländegewinne seine Position für künftige Gespräche verbessern? Dafür könnte sprechen, dass es neue Verhandlungsprinzipien und die Einbeziehung der Türkei fordert.

Oder strebt Diktator Ilham Aliejew eine gewaltsame Rückeroberung des ganzen Gebiets an? Viele seiner Worte kann man so verstehen. Dann indes droht die Vertreibung der Armenier aus Karabach – oder schlimmeres, wenn die Kämpfe nicht rasch beendet werden.

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