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#Was es für mich hieß, zur Freiheit verdammt zu sein

„Was es für mich hieß, zur Freiheit verdammt zu sein“

Édouard Louis, in Ihrem neuen Buch, „Anleitung ein anderer zu werden“, beschreiben Sie eine soziale Odyssee. Ihren Weg raus aus Ihrem Dorf, raus aus der Armut, in die Kleinstadt Amiens, also die Mittelschicht, und später nach Paris, wo Sie es in die höchsten Kreise der Bourgeoisie und der intellektuellen Elite schaffen. Was haben Sie auf dieser Reise gelernt?

Im Grunde ist es die Frage, die den Anstoß zu diesem Buch gab: Was lernt man über die Welt und die Gesellschaft, wenn man die unterschiedlichsten sozialen Schichten durchläuft, immer weiter hoch? Das Markanteste war für mich die Erkenntnis, dass unsere Gesellschaft auf Lügen beruht. Wir glauben an Narrative, die mit der Wahrheit wenig zu tun haben.

An welches zum Beispiel?

Zum Beispiel die Idee, dass jeder es schaffen kann, wenn er sich richtig anstrengt; dass jedem die Möglichkeit dazu gegeben wird, etwas aus sich zu machen. Dass Arbeit und Anstrengung in unserer Gesellschaft belohnt werden und diejenigen, die keinen Platz gefunden haben, sich einfach nicht genug Mühe gegeben haben. Leider stimmt das nicht. Ich habe mich in unterschiedlichen Milieus bewegt und kann Ihnen sagen, dass die Klasse, der man am meisten hilft, keineswegs die ist, von der man ausgeht. Es ist nicht, wie man gerne behauptet, die angeblich so unterstützte Arbeiterklasse, sondern die Oberschicht. Man schenkt ihnen das Leben, um das Leute wie ich hart kämpfen müssen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn ich von möglichen Studienrichtungen, Diplomen oder Aufnahmeprüfungen erfuhr, die mir bei der Flucht aus meinem Milieu herausgeholfen hätten, dann war es meist zu spät. Als Kind der Bourgeoisie wächst man mit dem Wissen um diese Möglichkeiten auf, man verpasst diese Chancen nicht. Wenn jemand aus meinem Dorf studieren will, dann muss er schon Einstein sein. Ein Kind aus der Oberschicht kann sehr mittelmäßig intelligent sein und wird trotzdem bei Sciences Po aufgenommen werden.

Sie haben sich dieses kulturelle Kapital, von dem Sie sprechen, selbst angeeignet und haben an der prestigeträchtigen École Normale Su­périeure studiert. Sind Sie damit nicht das beste Beispiel dafür, dass der soziale Determinismus eben doch durchbrochen werden kann?

Édouard Louis: „Anleitung ein anderer zu werden“. Roman. Aus dem Französischen von Sonja Finck, Aufbau Verlag, 272 Seiten, 24 Euro.


Édouard Louis: „Anleitung ein anderer zu werden“. Roman. Aus dem Französischen von Sonja Finck, Aufbau Verlag, 272 Seiten, 24 Euro.
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Bild: Aufbau Verlag

Das glaube ich überhaupt nicht. Ich würde ganz im Gegenteil sagen, dass dieses Buch mein deterministischstes ist. Meine Flucht oder – besser gesagt – mein dringender Wunsch, zu flüchten und mich zu verändern, war determiniert. Ich bin nicht gegangen, weil ich es wollte, ich wurde zur Flucht gezwungen, weil der Determinismus meiner Klasse, ihr Männlichkeitskult, mit dem Determinismus meiner sexuellen Orientierung, der Tatsache, dass ich schwul bin, kollidierte. Die Gewalt, die daraus resultierte, hat mich fortgedrängt. Ich war, wie Sartre sagen würde, dazu verdammt, frei zu sein.

Zur Freiheit determiniert?

Wahrscheinlich sollte man Freiheit und Determinismus gar nicht so gegensätzlich denken. Meiner Meinung nach sind die Freiheit und die Emanzipation, um die es in diesem Buch, wie auch in dem über meine Mutter, geht, nicht das Ergebnis einer persönlichen Entscheidung, sondern einer Situation. Man kritisiert mich oft für diese Haltung, dafür, dass ich den Menschen die persönliche Verantwortung abspreche. Aber ich finde es viel optimistischer zu sagen, dass gewisse Situationen einen dazu bringen, seiner Herkunft zu entkommen, statt immer zu behaupten, dass dieser Impuls ganz unabhängig von allem aus einem selbst heraus entstehen muss. Wenn man das denkt, dann kann man nichts machen, man muss passiv darauf warten, dass Einzelpersonen diesen Drang entwickeln. Wenn man hingegen anerkennt, dass es Situationen gibt, die ihn befördern, kann man versuchen, sie zu schaffen.

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