Nachrichten

#Wenn der magische Moment erreicht ist

Imitatio, Aemulatio und Superatio: Was als Kopieren, Nachahmen und Überwinden angeblich vor allem künstlerische Prozesse der Vormoderne prägte, hielt sich länger als ge­dacht. Das Lernen am Vorbild, mit dem Ziel, etwas ganz und gar Eigenes zu entwickeln, gehört nach wie vor zu den Grundfesten der Musikerziehung, aber auch der Komponistenaus­bildung. Sie beginnt mit Stilkopien, mit der Kennerschaft des Überlieferten, bis dann irgendwann jener ma­gische Moment erreicht ist und das eigene Schöpfertum sich mit Macht Bahn bricht – vorausgesetzt, es ist eines vorhanden.

Nur selten ereignet sich so eine künstlerische Selbstwerdung in der lauten Öffentlichkeit anstatt in der stillen Stube. Die komische Oper „Die drei Pintos“ ist so ein Fall: Carl Maria von Weber ließ das Stück im November 1821 liegen. Bei seinem Tod nur fünf Jahre später lagen siebzehn Nummern vor, von den Arien nur Melodien und den Chören nur Rahmenstimmen. Der dritte Akt fehlte fast vollständig. Die Nachfahren Webers bemühten sich red­lich, eine Vollendung zu erreichen: So bastelte zuerst Giacomo Meyerbeer zwanzig Jahre an den Skizzen herum, gab dann aber wieder auf. Ihm galt das Libretto als das „dümmste Zeug der Welt“.

Louis Spohr und Johannes Brahms lehnten sofort ab. Erst der ­junge Leipziger Kapellmeister Gustav Mahler erkannte 1887 das Potential des Stoffes – weniger, weil er das alberne Libretto anders bewertete als seine Vorgänger, sondern weil er hinter den weberschen Ruinen mehr und mehr den Schatten eines eigenen Gebäudes aus Musik wachsen sah. Als das Werk 1888 in Leipzig seine um­jubelte Uraufführung erlebte, hatte Mahler seine lange herausgezögerte Wende vom Dirigenten zum Komponisten endgültig vollzogen. Die Zwischenaktmusik „Pintos Traum“ gilt als Mahlers erstes symphonisches Stück: Die Imitation von Naturlauten, der eher lockere Satz sowie das Dominieren von Quarten und Quinten ver­weisen auf seine erste Symphonie. Der dritte Akt ist Superatio pur, eine absolute Eigenleistung Mahlers.

Gustav Mahler: Die Zwischenaktmusik „Pintos Traum“ gilt als sein erstes symphonisches Stück.


Gustav Mahler: Die Zwischenaktmusik „Pintos Traum“ gilt als sein erstes symphonisches Stück.
:


Bild: picture alliance / Heritage Imag

Es war eine mehr als gute Idee des Leipziger Gewandhauses, die konzertante Aufführung der „Drei Pintos“ als Ouvertüre des diesjährigen Mahler-Festivals auf das Programm zu setzen. Hübsch symbolisch kann damit Leipzig als Genius Loci von Mahlers internationalem Durchbruch und das Werk zugleich als Basis für vieles, was bis Ende Mai auf dem Programm steht, erlebt werden. Zugleich eröffnet die bunte Musik einen ganz anderen Blick auf beide Komponisten: Weder mag das Bild von Weber als Schöpfer deutsch-düsterer Waldmärchen noch das Bild von Mahler als verzweifelt-melancholischem Frauenhelden zur Musik passen.

Kein Fall für Freuds Couch

Hier liegt niemand bei Sigmund Freud auf der Couch, die Charaktere sind frei von Selbstreflexionen, mythischen Doppelgesichtern oder gar Mordabsichten. Stattdessen hauen sich die Kerle kumpelhaft auf die Schulter, besaufen sich, lallen und übertölpeln den Tölpel Don Pinto.

Am Schluss bekommt der richtige Don Pinto, der eigentlich anders heißt, die richtige Frau. Alles kulminiert in einer riesigen Lachsalven-Szene des Kon­trollverlustes, in der der Chor „Didel dudel, didel dudel dum!“ zum „Heißa, heißa, heißa, hei!“ des harmlosen Betrügers Don Gaston (Benjamin Bruns) skandiert, die Hauptfigur Clarissa (fabelhaft: Viktorija Kaminskaitė) nur noch „Ich die deine“ schreit, ihre Zofe Laura (ebenso grandios: Annelie Sophie Müller) „Tanzen will ich, tanzen, tanzen!“ beiträgt und der Witzbold Ambrosio (mimisch und stimmlich beeindruckend: Krešimir Stražanac) es auf den Punkt bringt: „Welch ein Spaß!“

Die Musik kippt ins bissig Ironische

Was man aus diesem selten aufgeführten Stück szenisch alles machen könnte! Vielleicht landen am Schluss doch alle auf der Couch? Die Musik kippt jedenfalls ins bissig Ironische – ob dieser Schluss trotz der naiven Texte Spaß oder Ernst ist, vermag niemand zu sagen.

Sängerisch sticht Katja Stuber (als Wirtstochter Inez) mit samtigem So­pran erster Güte hervor. Zuverlässig agieren Wilhelm Schwinghammer (Don Pantaleone), Franz Hawlata (Don Pinto) und Matthew Swensen (Gomez). Das Gewandhausorchester unter Dmitri Jurowski braucht etwas Anlauf, um den symphonischen Ernst abzuschütteln, doch spätestens im operettenhaften Galopp des ersten Satzes sind alle in Schunkelstimmung.

Dass der beschwingt-flexible Ge­wandhauschor – wie das Orchester – für die zarteren Themen von Weber viel zu groß ist, ergibt erst im Finale Sinn, wenn Mahler ganz bei sich ist. Das Leipziger Publikum war es von Beginn an: Immer wieder Szenen­applaus, obwohl es keine Szene gibt. Am Schluss toben die Ränge. Welch ein Spaß!

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!