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#Wer den Ausnahmezustand beherrscht

Wer den Ausnahmezustand beherrscht

Wer sich nach mehr als einem Jahr Pandemienotstand am Ende der Kräfte wähnt, sei getröstet: In Gotham City dauert der Notstand noch viel länger an. Achtzig Jahre schon herrscht er in Batmans Heimatstadt – und die Welt schaut zu, die Welt im fast buchstäblichen Sinn. Erstmals erwähnt im DC-Comics-Heft „Batman No. 4“, Winter 1940/41, lesen bis heute Menschen auf allen Kontinenten vom Schicksal des fiktiven Millionen-Molochs. Das Publikum, das Anteil daran nimmt, ist noch einmal viel größer geworden, seitdem die Stadt auch auf der Leinwand präsent ist. Allein die beiden letzten Filme der „Dark Knight“-Trilogie von Christopher Nolan spielten weltweit jeweils mehr als eine Milliarde Dollar ein.

Dass immer neuen Generationen das Schicksal der erfundenen Stadt Gotham so nahegeht und sie es auf unser Leben im Hier und Jetzt beziehen, liegt wohl auch an den zwei Gesichtern dieser Stadt: Sie ist einerseits ganz zeitgenössische Metropole, bevölkert von gewöhnlichen Bürgerinnen und Bürgern. Andererseits ist Gotham eben dann doch in einem Ausmaß ungewöhnlich und unzeitgemäß, dass es unsere Phantasie in Beschlag nimmt. Wir glauben, das alles zu kennen – und werden zugleich fortwährend überrascht, nie ganz sicher, ob die kunstvoll ersonnenen Katastrophen demnächst auch uns ereilen werden. Und was Katastrophen anbelangt, kann man gar nicht einfallsreich genug sein, wie die Realität der letzten Jahre gezeigt hat, die Corona-Pandemie ist da nur die aktuellste.

„Gotham“ steht für den Ausnahmezustand in Permanenz, für die Herrschaft des Verbrechens, für unvorstellbares Staatsversagen. Aber es steht auch für den Triumph eines republikanischen Heroismus, wie ihn der prominenteste Bürger der Stadt, Bruce Wayne alias Batman, praktiziert. Stellt sich die Frage, was das spezielle Flair, was das Eigentümliche dieses Gemeinwesens Gotham ausmacht – und welche kollektiven Phobien es sind, die hier zum Ausdruck kommen.

In der Antike signalisierte die Zerstörung, Beschädigung oder Entweihung kultischer Stätten nicht selten eine maximale Bedrohung für den Bestand von Staat und Gesellschaft. Was nahezu jede Maßnahme rechtfertigte – selbst wenn aus objektiver militärischer oder polizeilicher Perspektive die Tat gar nicht so bedeutend war. Sie wurde es allein aufgrund des symbolischen Wertes des gefährdeten Objekts.

Die Welt des 20. und 21. Jahrhunderts liegt so gut wie die des Altertums in einem symbolischen Kraftfeld. Als im Januar dieses Jahres die Anhänger Donald Trumps das Kapitol in Washington stürmten, hielten sie die Vereinigten Staaten und die ganze Welt in Atem. Nicht die Schäden am Mobiliar und an Leib und Leben des Wachpersonals waren das Unerhörte, sondern der Vorgang als solcher: Das unautorisierte Eindringen lärmender Rowdys in das Allerheiligste der amerikanischen Demokratie, noch dazu in teils absonderlichen Kostümen.

In Gotham sind es vor allem zwei ikonische Orte, die immer wieder in das Fadenkreuz von Kriminellen und Terroristen geraten: Blackgate Prison, die berüchtigte Strafanstalt. Und Arkham Asylum, die noch berüchtigtere städtische Psychiatrie, wo in den Comics seit 1974 Schurken wie der Joker und Two-Face verwahrt werden.

Verstörend wirken diese Gebäude, weil sie die latente, von Gerüchten und Mutmaßungen befeuerte Angst vor den sozial entwurzelten Insassen repräsentieren – und ebenso das schlechte Gewissen einer Bürgerschaft, die sich der Integrität ihrer Justiz nicht sicher ist. Es sind toxische Orte im Herzen einer labilen Republik. Versagen die Schutzvorrichtungen, die Herrschende und Ausgestoßene voneinander trennen, kommt es zur ultimativen Katastrophe.

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