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#Wer die Stones hört, braucht keine Polka

„Wer die Stones hört, braucht keine Polka“



Beim Baden 1972: Werner Kremm (links), William Totok, Rolf Bossert (stehend), Johann Lippet, Richard Wagner (stehend rechts), Anton Sterbling (sitzend rechts) und möglicherweise Herta Müller (Mitte vorn)

Bild: Literaturhaus München

Vor fünfzig Jahren fand in Temeswar die „Aktionsgruppe Banat“ zusammen, um die deutschsprachige Literatur in Rumänien zu modernisieren. Ihre provozierenden Texte und Auftritte riefen die Securitate auf den Plan.

Ein plötzlicher Entschluss: über die Grenze gehen. Der befreiende Versuch, das fremde Territorium zu erreichen. Das fast erwartete Scheitern, die Festnahme durch Grenzpolizisten mit der Folge dreimonatiger Gefängnishaft. Anton Sterbling, siebzehn Jahre alt, Schüler in der elften Klasse des Lyzeums in dem kleinen Ort Großsanktnikolaus im rumänischen Banat unternimmt im Oktober 1970 diesen gewagten Versuch einer „Flucht als Provokation“. Sie hat auch literarische Implikationen: Einen Tag später findet an seiner Schule eine Diskussionsveranstaltung mit aus Bukarest angereisten Schriftstellern und Redakteuren der Zeitschrift „Neue Literatur“ wie Anemone Latzina, Gerhardt Csejka und Paul Schuster statt, die nicht zuletzt über Demokratisierungsmöglichkeiten der Gesellschaft und des Schulalltags sprechen wollen. Der vor dem Abitur stehende Mitschüler Richard Wagner von der XII C dringt darauf, auch den dramatischen Fluchtvorgang vom Vortag zur Sprache zu bringen. Die Rundreise der Bukarester Redakteure ging auf ungewöhnliche Aktivitäten der „Neuen Banater Zeitung“ (NBZ) zurück, deren Chefredakteur Nikolaus Berwanger – als Parteifunktionär in der deutschen Minderheit tätig – die deutschsprachige „Temeswarer Tageszeitung“ einem Modernisierungsversuch unterwarf und dabei jugendliche Schüler und Studierende mit eigenen Schülerseiten und der Studierendenbeilage „Universitas“ einbezog.

Sterbling, Wagner, aber auch Johann Lippet, Werner Kremm und William Totok gehörten in Großsanktnikolaus, dem Geburtsort von Bela Bártok in der Vielvölkerregion Banat, zu den Schülern der eigenwilligen und begeisterten Deutschlehrerin und NBZ-Mitarbeiterin Dorothea Götz, die in der Schule Theateraufführungen einstudierte, einen Deutschzirkel einrichtete und das Verständnis für die moderne Literatur bei ihren Schülern enorm förderte. Bereits im Winter 1969/70 beteiligen sich die vier Jungautoren an einer Schülerredaktion der NBZ, wo sie mit Gedichten vertreten sind.

In diesem Zeitraum haben auch auf den Seiten des Gymnasiums No. 10 in Temeswar, das nach Nikolaus Lenau benannt wurde, bereits Gerhard Ortinau und Herta Müller publiziert. In der Neu-Arader Redaktion treten der Achtklässler Albert Bohn, der jüngste in der späteren Aktionsgruppe, und der Abiturient Werner Söllner in den Blickpunkt; Ernest Wichner publiziert seine ersten Gedichte ebenfalls auf der Schülerseite. Poetisch herausragend zeigt sich vor allem Rolf-Günther Bossert aus der Industriestadt Reschitza, der wegen seines Studiums in Bukarest später selten an den Lesungen und Happenings der Gruppe teilnehmen kann und dessen Gedichte als „korrespondierendes Mitglied“ hoch geschätzt werden. Werner Kremm – bis heute der einzige noch in Rumänien Lebende der „Aktionsgruppe“ – formuliert mit Lippet die Abschlussgrüße der 12. Klasse des Gymnasiums in Großsanktnikolaus: „Was war, was ist die Schule für uns? Keiner von unseren Kollegen teilt die Meinung George Bacovias, der die Schule mit einem Grab vergleicht: ‚Liceu, mormînt al vieții mele‘ („Das Lyzeum, Grab meines Lebens“). Im Gegenteil: Die Schuljahre zählen zu unseren schönsten bisher.“

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