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#Wer gewinnt den Häuserkampf?

„Wer gewinnt den Häuserkampf?“

Jayson Geroux blickt auf die Karte von Mariupol am 41. Kriegstag – und wundert sich. „Da sind diese Finger, die in die Stadt hineinragen, das ist seltsam“, sagt der kanadische Major, ein ausgewiesener Fachmann für urbane Kriegsführung. „Normalerweise würde man die Stadt einschließen, seine Feuerkraft auf einer Seite konzentrieren und sich von dort methodisch vorarbeiten. Aber die Russen nähern sich aus allen möglichen Richtungen.“ So entstehen die „Finger“. Sie ragen im Norden bis zum Rathaus und im Westen bis zum Theater. „Das ist gefährlich, denn diese Finger könnten von den Ukrainern abgeschnitten werden.“ Und das ist nicht die einzige Beobachtung, die den Kanadier, der seit vielen Jahren Soldaten im Häuserkampf ausbildet, irritiert.

Thomas Gutschker

Politischer Korrespondent für die Europäische Union, die Nato und die Benelux-Länder mit Sitz in Brüssel.

Russische Truppen belagern, beschießen und bombardieren seit Anfang März Mariupol, die Hafenstadt am Asowschen Meer. Die Zerstörungen sind gewaltig. Neunzig Prozent der Infrastruktur seien zerstört worden, vierzig Prozent davon unwiderruflich, sagte der Bürgermeister Wadym Bojtschenko Anfang der Woche. Ungefähr 130 000 Menschen seien noch eingeschlossen, vor dem Krieg lebten dreimal so viele in der Stadt. Mehr als 5000 Zivilisten sollen während der Angriffe getötet worden sein. Mariupol ist wie Butscha zum Symbol eines Krieges geworden, in dem sich Russland an keine Regeln hält und jeden Tag das humanitäre Völkerrecht missachtet.

„Das würde viel zu viele Kräfte binden“

Und doch haben es die russischen Truppen bisher nicht geschafft, die Stadt einzunehmen. Sie sind vorgerückt, am 24. März nahmen sie das Rathaus ein. Doch alle Behauptungen, die Stadt sei „befreit“, waren verfrüht. Ein Video, das angeblich zeigte, wie sich 267 ukrainische Marineinfanteristen ergaben, war leicht als Fälschung zu erkennen. Wie es in Mariupol wirklich zugeht, ist von außen schwer zu beurteilen. Wir haben zwei Fachleute um ihre Einschätzung gebeten: Wie gehen die Russen bisher vor? Und was bedeutet es, in einer solchen Stadt zu kämpfen?


Bild: Sieber

Sie fällen ein hartes Urteil über die russischen Angreifer, aus rein militärischer Sicht. „Das ist die unprofessionellste Anwendung von Gewalt, die man sich vorstellen kann“, sagt Jayson Geroux, der Kanadier. „Es widerspricht komplett unseren Grundsätzen militärischer Kriegsführung“, sagt Michael Matz, Brigadegeneral und Kommandeur der Infanterieschule der Bundeswehr in Hammelburg, wo Soldaten für den Städte- und Häuserkampf ausgebildet werden. Zwar würden auch NATO-Staaten eine Stadt zuerst einschließen, bevor sie mit eigenen Truppen hineingehen. Doch gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Es geht darum, Waffen gezielt einzusetzen und mit wenigen Mitteln die größte Wirkung zu erzielen.

Das erfordert genaue Planung. „In einer Großstadt wie Mariupol ist es unmöglich, jedes Haus zu erobern und zu halten – das würde viel zu viele Kräfte binden“, sagt Matz. Die Bundeswehr rechnet so: Um ein Einfamilienhaus einzunehmen, braucht man zehn Soldaten, für ein größeres Gebäude ungefähr dreißig. Bei den Wohnblöcken in Mariupol käme man leicht auf eine ganze Kompanie, hundert Mann – für einen Block. Im freien Gelände gilt die Faustregel: drei Angreifer auf einen Verteidiger. Im urbanen Umfeld „sollte der Angreifer sieben- bis zehnmal stärker sein als der Verteidiger“, sagt Matz. „Der Verteidiger hat einen großen Vorteil: Er kennt seine Stadt, die Infrastruktur, das Innenleben der Häuser, die U-Bahn-Schächte und Abwasserkanäle.“ Das ermögliche es ihm, immer wieder überraschend zuzuschlagen. Sogar die Freiwilligen, die nun auf ukrainischer Seite kämpfen, seien im Vorteil: „Ein motivierter Musikstudent mit einer einfach zu bedienenden Panzerfaust hat einen höheren Einsatzwert als ein angreifender Wehrpflichtiger, der gar nicht weiß, warum er überhaupt in dieser Stadt ist.“

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Nach westlicher Vorstellung muss der Angreifer also Prioritäten setzen, seine Ziele genau aufklären, bevor er in eine Stadt eindringt. Welche Einrichtungen sollen kontrolliert werden, wo sind die strategischen Punkte? „Ich bezweifle, dass die russischen Truppen das getan haben“, sagt Matz. „Stattdessen beschießen und bombardieren sie besinnungslos Wohnviertel, ohne Rücksicht auf Verluste.“ Geroux sieht das als Ausdruck einer grundsätzlich anderen Doktrin: „In der NATO unterstützt Artillerie die Manövereinheiten, also Panzer, Pioniere, Infanteristen. Bei den Russen ist es umgekehrt, da unterstützen diese Kräfte die Artillerie.“ Ihre Kampfverbände sind auf überwältigende Feuerkraft angelegt, jede taktische Bataillonsgruppe verfügt nicht nur über viel mehr Mörser und Haubitzen als westliche Streitkräfte, sondern auch über Mehrfachraketenwerfer. „Die Doktrin lautet: Erst wenn wir alles zerstört haben, können wir eine solche Stadt einnehmen.“

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