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#Widerstand durch Mitmachen?

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Widerstand durch Mitmachen?

Es beginnt mit einem Gerichtssaal voller Geräusche. Zu hören sind Stühlerücken und das Klacken von Schnallen an Ledertaschen; Rascheln durch die Seiten der Prozessordnung und durch die der neuen Ausgabe der Nürnberger Tageszeitung. Zwei Techniker des Bayerischen Rundfunks lassen die Gelenke eines Stativs einrasten. Der Lautsprecher, der über ihnen, auf dem Sims der Holzvertäfelung, angebracht ist, knackt und pocht dann dumpf. Und Richard, der sein Jurastudium in Göttingen unterbrochen hat, um hierherzukommen, und der gerade dabei zusieht, wie einer der Angeklagten den Schlipsknoten strafft, denkt an die Gier nach Musik nach dem Krieg. Nach Wissen, nach weiten Gedankenwelten und ihren Maßstäben, die die juristische Fakultät ihnen nur in Klauseln und Paragraphen vermittelt, „meist ohne großen Zusammenhang“. Je genauer er auch jetzt auf Einzelheiten im Raum vor sich achtet, desto weniger kann er ihn als Ganzes erfassen. Dabei wird es hier ums große Ganze gehen. Und darum, wie alles mit allem zusammenhängt.

Julia Encke

Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

Es ist November 1947 in Nürnberg, im „Wilhelmstraßen-Prozess“, in dem Richard von Weizsäcker als Assistent an der Seite von Hellmut Becker seinen Vater, Ernst von Weizsäcker, verteidigt, der hier als Kriegsverbrecher angeklagt ist. Der Vater war am 1. April 1938 in die NSDAP eingetreten, wurde zwei Tage darauf zum Staatssekretär des Auswärtigen Amts ernannt, unter Außenminister Ribbentrop der höchste Diplomat des Landes. Am 23. April 1938 unterzeichnete er seinen Aufnahmeantrag in die SS, wurde dem persönlichen Stab des Reichsführers SS Heinrich Himmler zugeteilt, der ihn vier Jahre später zum SS-Brigadeführer beförderte und ihm den Totenkopf-Ehrenring und den SS-Degen verlieh. Richard blickt auf seinen Vater, den die Haft hager gemacht hat, das Kinn noch fliehender, und dessen zu groß gewordener Anzug einem Kostüm gleicht. Oder besser: Der Schriftsteller Fridolin Schley beschreibt diesen Blick des Sohnes auf den Vater.

Vater-Sohn-Konstellation

Denn Schley, der über den Schriftsteller W.G. Sebald promoviert und bereits mehrere Romane veröffentlicht hat, zuletzt die Novelle „Die Ungesichter“, hat einen Roman über diesen Prozess geschrieben. Er heißt „Die Verteidigung“ und gehört zu den aufwühlendsten Büchern dieses Herbstes, weil er in einer provozierend nüchternen Sprache, mit der er die Formeln der nationalsozialistischen ,Diplomatie‘ und die der Verteidigung in Nürnberg komplett auseinandernimmt, den ganzen Prozess noch einmal aufrollt. Er nimmt sich die Vater-Sohn-Konstellation vor und den begrenzten Zeitraum des Prozesses – das Urteil wird am 11. April 1949 verkündet – und lässt auf diese Weise nicht nur die Naziverbrechen in der Figur des Vaters und die entstehende Bundesrepublik in der Figur des Sohnes aufeinandertreffen. Indem er den Prozess anhand von Aufnahmen, Dokumenten und einer langen Liste von Sekundärliteratur rekonstruiert (darunter Richard von Weizsäckers „Vier Zeiten“, die „Erinnerungen“, die Ernst von Weizsäcker im Gefängnis schrieb oder das von Eckart Conze mitherausgegebene Standardwerk „Das Amt und die Vergangenheit – Deutsche Diplomaten im Dritten Reich“), führt er in atemberaubender Verdichtung jenen Moment vor Augen, in dem in Deutschland aus Wissenden angeblich Unwissende wurden, aus Mitverantwortlichen selbsterklärte „Briefträger in all den scheußlichen Angelegenheiten“, aus Tätern sogenannte Widerständler.

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