Wissenschaft

#Wie die Gehirnchemie unser Sozialverhalten prägt

Die Botenstoffe Dopamin und Serotonin in unserem Gehirn spielen eine wichtige Rolle für unser Sozialverhalten. Forschende haben nun erstmals ihr Zusammenspiel direkt beobachtet. Möglich wurde dies durch vier Parkinson-Patienten, die während einer Hirnoperation an einem Experiment teilnahmen. Die Ergebnisse offenbaren einen neurochemischen Mechanismus für unsere Tendenz, Entscheidungen auf Grundlage des sozialen Kontexts zu treffen. Langfristig kann die Technik zudem dazu beitragen, Veränderungen in der Hirnchemie bei der Parkinson-Krankheit besser zu verstehen.

Es ist ein klassisches Experiment der Verhaltenspsychologie: Eine Person soll 20 Dollar zwischen sich und einer anderen Person aufteilen. Nimmt die andere Person das vorgeschlagene Angebot an, erhalten beide den jeweils vereinbarten Betrag. Lehnt die andere Person ab, gehen beide leer aus. Aus rein wirtschaftlicher Sicht würde es sich für die zweite Person bei diesem Ultimatumspiel am meisten lohnen, jedes Angebot anzunehmen – selbst wenn die erste Person vorschlägt, lediglich einen Dollar abzugeben. Denn ein Dollar ist immerhin besser als nichts. Praktisch hat sich allerdings gezeigt, dass die meisten Menschen dazu neigen, Angebote, die sie als ungerecht empfinden, auszuschlagen. Um das Gegenüber für das unverschämte Angebot zu bestrafen, verzichten sie auf eigenen Gewinn.

Forschung während Hirn-OPs

Doch was geschieht während solcher Entscheidungsprozesse im Gehirn? Dieser Frage ist ein Team um Seth Batten von der Virginia Tech nun auf den Grund gegangen. Da sich die Prozesse im Gehirn üblicherweise nicht ausreichend detailliert beobachten lassen, wählten die Forschenden einen außergewöhnlichen Ansatz: Sie baten vier Parkinson-Patienten, die sich im Wachzustand einer Hirnoperation unterzogen, während dieser Operation am Ultimatumspiel teilzunehmen.

Durchgeführt wurde die Operation, um Elektroden zur Tiefen Hirnstimulation zu implantieren und so die Krankheitssymptome der Patienten zu lindern. Mit Einwilligung der Patienten führten Batten und sein Team kurzzeitig eine weitere Elektrode in das offene Gehirn ein, und maßen damit das Verhältnis der Hirnbotenstoffe Dopamin und Serotonin, während die Testpersonen Entscheidungen im Ultimatumspiel trafen. Dabei fokussierte sich das Team auf die Substantia nigra, die an der motorischen Kontrolle sowie an der Verarbeitung von Belohnungen beteiligt ist. Ausgewertet wurden die Daten mit Hilfe von maschinellem Lernen.

Sozialer Kontext relevant

Bei dem Ultimatumspiel sagten die Forschenden den Testpersonen entweder, sie würden mit einem Menschen spielen oder mit einem Computer. Für die Entscheidungen über die jeweiligen Angebote spielte diese Information eine wichtige Rolle: „Wenn Menschen wissen, dass sie gegen einen Computer spielen, spielen sie perfekt, genau wie mathematische Ökonomen – sie bevorzugen kleine Gewinne gegenüber gar keinem Gewinn“, erklärt Battens Kollege Read Montague. „Aber wenn sie gegen einen Menschen spielen, können sie nicht anders: Sie werden oft dazu getrieben, das kleinere Angebot zu bestrafen, indem sie es ablehnen.“ Tatsächlich nahmen die Testpersonen auch kleine Angebote an, wenn sie wussten, dass ihr Gegenüber ein Computer ist. Von Menschen dagegen lehnten sie identische Angebote ab. Erwartungsgemäß bezogen sie also den sozialen Kontext in ihre Entscheidung ein.

Die Messungen der Hirnbotenstoffe decken einen biologischen Mechanismus für dieses Phänomen auf: Der Dopaminspiegel variiert in Abhängigkeit davon, ob das aktuelle Angebot besser oder schlechter ist als das vorherige. Der Serotoninspiegel hingegen reagiert auf den Wert des aktuellen Angebots, unabhängig vom vorherigen Verlauf. „Interessanterweise ist der Dopaminspiegel insgesamt höher, wenn Menschen mit einem anderen Menschen interagieren als mit einem Computer“, berichtet Bang. Sobald also Gedanken an Fairness im Spiel sind, bewertet unser Gehirn die Angebote anders.

Erforschung der Parkinson-Krankheit

Eines der grundlegenden Merkmale der Parkinson-Krankheit ist der Verlust von Dopamin produzierenden Nervenzellen im Hirnstamm. Während die aktuelle Studie sich nicht auf den Hirnstamm bezog, könnten weitere Versuche auch dazu beitragen, die krankhaft veränderten Interaktionen von Dopamin und Serotonin bei Parkinson besser zu verstehen.

„Es gibt bereits präklinische Hinweise darauf, dass der fortschreitende Verlust des Dopaminsystems dem Serotoninsystem sagt: ‚Hey, wir müssen etwas tun‘. Aber wir waren noch nie in der Lage, diese Dynamik zu beobachten“, erklärt Montague. „Unsere aktuelle Studie ist ein erster Schritt, aber es besteht die Hoffnung, dass wir, wenn wir genügend Menschen untersuchen, in der Lage sein werden, das Wechselspiel der Neurotransmitter mit den Krankheitssymptomen in Verbindung zu bringen und klinische Aussagen über die Parkinson-Pathologie zu machen.“

Quelle: Seth Batten (Virginia Tech) et al., Nature Human Behaviour, doi: 10.1038/s41562-024-01831-w

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Wissenschaft kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!