#Wie Franz Josef Strauß 1979 Kanzlerkandidat wurde
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„Wie Franz Josef Strauß 1979 Kanzlerkandidat wurde“
Am 2. Juli 1979 hat die CDU/CSU-Fraktion des Bundestages den fragwürdigsten Beschluss in ihrer Geschichte gefällt. Die damals Anwesenden sind längst im Ruhestand, viele sind schon gestorben. In der Erinnerungsliteratur beschreiben die einen ihren Triumph, die anderen suchen ihre Niederlage zu mildern. Nur Historiker wie der CDU-Forscher Hans-Peter Schwarz, die allerdings nicht anwesend waren, lassen die Härte der Auseinandersetzung erkennen. Sie wird als „Feldschlacht“ bezeichnet, die „um 16.03 beginnt und um 23.23 Uhr endet“. In diesen Stunden galt die Aufmerksamkeit dem Gesicht des Fraktionsvorsitzenden Helmut Kohl – mit der Frage des jungen Politikwissenschaftlers: Wie hält er das durch, wie bewältigt er das?
Was ist geschehen? Im Frühjahr hatte der CDU-Vorsitzende Kohl erkannt, dass er keine Aussicht habe, unangefochten zum Kanzlerkandidaten der Union gekürt zu werden. Denn der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß verübelte ihm noch immer seine einseitige Ausrufung zum Kanzlerkandidaten vier Jahre zuvor, darüber hinaus hielt er ihn grundsätzlich „charakterlich und geistig“ für ungeeignet. Zugleich waren die Umfragezahlen für Kohl wie für die Unionsparteien nicht gut. Also schlugen Kohl und die CDU-Führung den niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht, der in den Medien gehätschelt wurde, zum Kanzlerkandidaten vor. Dies erzürnte Strauß doppelt, denn er hatte dabei nicht mitbestimmen können.
Ohnehin fühlte er sich als einstiger Bundesminister und gewählter bayerischer Ministerpräsident dem Neuling weit überlegen. Seine Berater überredeten ihn, selbst die Kanzlerkandidatur der Union anzustreben, und so wurde es verkündet. Nun hatten die beiden Unionsparteien je einen Kanzlerkandidaten – und kein Mittel, um den Konflikt aufzulösen. Eigentlich müsste die CSU, wenn sie die Kanzlerkandidatur beansprucht, gesondert in die Bundestagswahl gehen. Das, so fürchtete Kohl, berge die Gefahr der Ausbreitung einer „vierten“ Bundespartei und des Konkurrenzkampfes von CDU und CSU.
Stundenlanges Wortgefecht
Da kein Parteigremium, kein gemeinsamer Parteitag einer Bundespartei und einer Landespartei mit bundespolitischem Anspruch diesen Konflikt demokratisch geordnet auflösen kann, verfiel der CSU-Landesgruppenvorsitzende Zimmermann auf die Idee, die Entscheidung in die gemeinsame Bundestagsfraktion zu tragen, laut Schwarz allerdings mit Vorbehalt: „Fällt das Ergebnis zu unseren Gunsten aus, werde man dies begrüßen; falle es negativ aus, dann müsse man dies relativieren.“ Wie es dann weitergegangen wäre, weiß niemand, denn in der Fraktion lautete nach dem stundenlangen Wortgefecht das Ergebnis: 135 für Strauß, 102 für Albrecht.
Den Ausschlag hatte die vielfache Argumentation von CSU- wie auch von CDU-Abgeordneten, meist unter Berufung auf Wahlkreisstimmungen und Umfragen, gegeben, die Wähler verlangten nach klarer Sprache, nach Politik mit Kanten und Härten, nach Überzeugungskraft und Standfestigkeit, also nach all dem, was das Strauß-Lager weder Albrecht noch Kohl zutraute. Besonders die auch sonst lauten Abgeordneten waren überzeugt, dass die meisten Wähler starke Worte hören wollten. Strauß und Albrecht waren immerhin abwesend, das waren sie ihrem Selbstwertgefühl schuldig. Wer dort zuhörte, musste glauben, die absolute Mehrheit der Union in der kommenden Bundestagswahl sei zweifellos erreichbar. Strauß aber errang schließlich lediglich 44,5 Prozent für CDU und CSU, Kohl hatte vier Jahre zuvor 48,6 Prozent verbuchen können.
Ein ungeeignetes, unsinniges und unfaires Verfahren
Danach haben die beiden Unionsparteien vier Jahrzehnte lang eine solch unredliche Entscheidungsfindung vermieden – am einfallsreichsten Angela Merkel mit ihrem Frühstück bei Edmund Stoiber. Das nun vom Strauß-Nachnachfolger Söder wieder ins Auge gefasste Verfahren ist allerdings ungeeignet, unsinnig und unfair.
Ungeeignet ist das Streben nach einem Fraktionsbeschluss, weil dieser mit zwei Arten von Unentschieden enden kann. Das erste wäre ein rechnerischer Gleichstand der Stimmen, dem keine Stichwahl folgen könnte, sondern nur ein Losentscheid. Über den Kanzlerkandidaten! Ein zweites, nunmehr politisches Unentschieden tritt ein, wenn beide Teile der Fraktion in sich geschlossen bleiben. Dann sind die Rivalen auf den Stand ihrer Gremienbeschlüsse zurückgeworfen. Was sollte dann folgen?
Unsinnig ist das Verfahren, weil es unter Missachtung der demokratischen Mehrheitsverhältnisse allein darauf zielt, den größeren Partner zum Verlierer zu machen. Setzt sich die CDU durch, so steht sie in den Augen der CSU ebenso „bevormundend“ oder gar „erdrückend“ da wie zuvor. Das Verfahren rechtfertigt sich allein, wenn der kleinere Partner den größeren spaltet und die Oberhand gewinnt.
Unfair ist das Verfahren, weil es im Grunde eine Aufforderung der Minderheit an die Mehrheit ist, ihrem Kandidaten und/oder Vorsitzenden die Loyalität zu entziehen. Besonders verwerflich ist, dass die Initiative dazu vom Minderheitsführer ausgeht, der sich seinerseits vor einer solchen Rufschädigung durch den „Kollegen“ geschützt weiß, denn die bringt nichts. Die CSU setzt darauf, fordert dazu auf, dass CDU-Abgeordnete in großer Zahl den eigenen Kandidaten als unzureichend abqualifizieren – was manche aus unterschiedlichsten Gründen tatsächlich tun. Zugleich hindert die Parteidisziplin CSU-Abgeordnete ohne Ausnahme daran, ihren Kandidaten zu tadeln. Müssten die CSU-Vorsitzenden mit einigen offen Unzufriedenen in den eigenen Reihen rechnen, würden sie Fraktionsbeschlüssen über sich selbst aus dem Weg gehen.
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