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#Wie Rauschen unsere Entscheidungen vernebelt

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Wie Rauschen unsere Entscheidungen vernebelt

Wie viel kostet eine Versicherung? Das hängt ganz entscheidend davon ab, wie hoch die Versicherungen ihr Risiko einschätzen. Dabei kommen sie häufig zu recht unterschiedlichen Ergebnissen. Doch wie stark weichen diese voneinander ab?  

Bastian Benrath

„Die meisten erwarten, dass – wenn mehrere Versicherungsanalysten sich denselben Fall angucken – ihre Einschätzungen etwa 10 Prozent auseinanderliegen“, sagt Olivier Sibony. „Doch wenn man die Einschätzungen tatsächlich mal mathematisch vergleicht, kommt man auf einen Median-Unterschied von 55 Prozent.“

Auch Fachleute sind also viel weniger objektiv als sie denken. Sibony sagt: „Menschen überschätzen gewaltig, wie gut sie darin sind, Dinge einzuschätzen.“ Der Franzose ist Professor an der Wirtschaftsuniversität HEC in Paris. Zusammen mit den beiden sehr bekannten Entscheidungsforschern Daniel Kahneman (Princeton) und Cass R. Sunstein (Harvard) hat er erforscht, warum Menschen Dinge so unterschiedlich einschätzen. Auf der Münchner Digitalkonferenz DLD, die in diesem Jahr virtuell stattfindet (hier geht es zum Livestream), diskutierten die drei am Sonntagnachmittag ihre Ergebnisse.

Ihr Fazit: Es liegt am Rauschen.

Überall, wo Menschen entscheiden, so die Analyse der drei Wissenschaftler, rauscht es. Es gibt zahlreiche Faktoren, die Entscheider von der richtigen Einschätzung einer Situation abbringen, nur folgen diese keinem klaren Muster. Unter dem Begriff „Rauschen“ fassen sie alle diese unsystematischen Verzerrer von Einschätzungen zusammen. Weil sie nicht nur in eine Richtung gehen, sind sich Entscheider dieser Einflüsse nicht bewusst. Stattdessen glauben sie, die Situation objektiv einschätzen zu können.

Die Wissenschaftler argumentieren, dass die Forschung bisher zu wenig betrachtet hat, wie das Rauschen Entscheidungen beeinflusst. Besser erforscht und häufiger thematisiert in der öffentlichen Diskussion seien dagegen systematische Einflüsse auf Entscheidungen: Menschen mit dunkler Hautfarbe, die nach Vorstellungsgesprächen seltener eingestellt werden als weiße Menschen, Menschen mit ausländisch klingenden Namen, die zu solchen Gesprächen gar nicht erst eingeladen werden, und so weiter.

Dieses Schaubild von Kahneman, Sibony und Sunstein illustriert die Definition von „Rauschen“: Während voreingenommene Einschätzungen (unten links) immer in die selbe Richtung von der richtigen Einschätzung (oben links) abweichen, sind die Abweichungen durch Rauschen (oben rechts) unsystematisch.


Dieses Schaubild von Kahneman, Sibony und Sunstein illustriert die Definition von „Rauschen“: Während voreingenommene Einschätzungen (unten links) immer in die selbe Richtung von der richtigen Einschätzung (oben links) abweichen, sind die Abweichungen durch Rauschen (oben rechts) unsystematisch.
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Bild: Kahneman, Sibony, Sunstein/Screenshot F.A.Z.

Wenn Menschen auf diese Art voreingenommen sind, ist in der Fachsprache von einem „Bias“ die Rede. Als gesellschaftliches Problem sind sie mittlerweile anerkannt. Nicht so ist es aber, meinen die Wissenschaftler, mit unsystematischen Einflüssen. „Wenn wir uns generell über Entscheidungsfehler unterhalten, sprechen wir fast ausschließlich über Bias“, sagt Kahneman. „Rauschen ist als Fehlerquelle besonders wichtig, weil wir darauf nicht achten.“

Dabei verzerrt das Rauschen den Wissenschaftlern zufolge alle Einschätzungen, die Menschen im Leben treffen: den Einkauf im Internet, das „Ja“ am Standesamt, das Urteil des Jugendrichters. All die Entscheidung hängen von vielen Zufällen ab: Etwa von der Laune desjenigen, der die Entscheidung trifft. Selbst die Zuordnung eines am Tatort gefundenen Fingerabdrucks zu einem Verdächtigen werde zwar als objektive Entscheidung eines professionellen Kriminalisten wahrgenommen, sagt Sibony. Auch dabei gebe es aber weit mehr Fehler, als man erwarte.

Entscheidungen säubern

„Es ist generell akzeptierter, wenn es durch Rauschen zu Ungerechtigkeiten kommt als durch Bias“, sagt der französische Wissenschaftler – menschliche Entscheidungen seien eben nicht immer komplett richtig. Doch man müsse versuchen, den Einfluss von Lärm zu vermindern, anstatt das Problem „unter den Teppich zu kehren“.

Ein Ansatz dafür ist es, viele verschiedene Menschen eine Entscheidung treffen zu lassen und diese individuellen Entscheidungen dann zu aggregieren. Als Ziel spricht Cass Sunstein deshalb von „Entscheidungshygiene“. Wenn man bewusst ein solches Verfahren nutze, erhöhe das deutlich die „Ruhe“, also die Verlässlichkeit einer Entscheidung. „Wenn man keine Entscheidungshygiene einsetzt, läuft man Gefahr, von allerlei Dingen beeinflusst zu werden, die die eigene Entscheidung zur Lotterie machen“, sagt Sunstein.

Die Arbeit gegen das Rauschen ist nicht hoffnungslos. Denn anders als der Bias, der systematisch ist, kann man das Rauschen den Wissenschaftlern zufolge relativ leicht messen: Wenn in der gleichen Situation viele Menschen zu deutlich unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ist das Rauschen groß. Anders als bei systematischen Entscheidungsfehlern muss man die „richtige Antwort“ nicht wissen, um Lärm abschätzen zu können.  

Die Arbeit an dem Buch habe ihm klar gemacht, wie stark das Rauschen auch seine eigenen Entscheidungen beeinflusse, sagt Sunstein. Deshalb plädiert er – wie auch seine beiden Kollegen – vor allem dafür, zu häufig stark abweichende Ergebnisse als Problem anzuerkennen und stärker zu untersuchen, um dann dagegen arbeiten zu können. „Das Rauschen ist ein unentdecktes Land“, formuliert es der Harvard-Wissenschaftler. „Dort ein wenig Zeit zu verbringen, kann große Erträge freisetzen.“

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