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#„Wir bestellen die Patienten jetzt aktiv ein“

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„Wir bestellen die Patienten jetzt aktiv ein“

Über das Impfen in Hausarztpraxen ist in der Corona-Krise lange debattiert worden. Seit dieser Woche ist das niedrigschwellige Impfen nun möglich. 600.000 Menschen wurden am Donnerstag geimpft – die deutsche Impfkampagne nimmt Fahrt auf. Dazu trägt auch der Hausarzt und Internist Thomas Heyer bei. Er steht in einem kleinen Behandlungszimmer seiner Gemeinschaftspraxis in Giebel, einem sozial eher schwachen Stadtteil im Nordwesten Stuttgarts. Hier ist Impfen plötzlich, was es sein sollte: ärztliche Routine.

Rüdiger Soldt

Heyer, dessen Praxis Corona-Schwerpunktpraxis ist, öffnet die Tür eines gewöhnlichen Haushaltskühlschranks. Auf einem kleinen Tablett stehen drei Injektionsflaschen mit dem Biontech/Pfizer-Impfstoff. Weil der Kühlschrank sonst fast leer ist, wirken die Fläschchen im bläulichen Licht wie kostbare Schmuckstücke. Der 52 Jahre alte Arzt hat für diese Woche am Mittwoch sechs Biontech-Ampullen von der Apotheke geliefert bekommen, das reicht für 36 Impfungen. Die Praxis hat 1600 Patienten, etwa 400 davon wollen die Ärzte in den nächsten Wochen impfen. Dazu brauchten sie bei zwei Impfungen pro Person etwa 135 Flaschen des Biontech-Impfstoffs.

Komplizierter als die Grippe-Impfung

Bestellt hatte Heyer das Vakzin am Dienstag. Der pharmazeutische Großhandel lagert den Impfstoff bei den vorgeschriebenen minus 70 Grad, in der Apotheke taut er auf, mit Kühlpads wird er dann in die Praxen geliefert und in normalen Kühlschränken gelagert. Pro Dosis werden zu 0,45 Milliliter Impfstoff 1,8 Milliliter Kochsalzlösung aufgezogen.

Heyer stellt das Tablett mit den Ampullen auf den Tisch, zieht nacheinander den Impfstoff und die Kochsalzlösung auf. Bei der normalen Grippeimpfung geht das einfacher und schneller: Es muss nur einmal geimpft werden, und die Spritzen für die intramuskuläre Injektion am Oberarm werden in der Regel fertig geliefert. Normalerweise impfen Heyer und sein Kollege in der Gemeinschaftspraxis im Jahr tausend Patienten, vor allem gegen Grippe.

Die 77 Jahre alte Hannelore Turkowitsch wird am 8. April von Dr. Heyer in Stuttgart gegen Corona geimpft.


Die 77 Jahre alte Hannelore Turkowitsch wird am 8. April von Dr. Heyer in Stuttgart gegen Corona geimpft.
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Bild: Patrick Junker

Heyer legt die aufgezogene Spritze auf ein Tablett und geht nach nebenan. Dort wartet die 77 Jahre alte Hannelore Turkowitsch. Heyer sagt: „Jetzt gibt es einen kleinen Piks, der Arm kann ein bisschen schwer sein.“ Bei Beschwerden rät er zu Paracetamol. Die Patientin sagt, sie habe seit dem 22. Dezember auf die Impfung gewartet – dem Tag, an dem das Vakzin zugelassen wurde. „Mein Mann ist ein Jahr älter und demenzkrank, wir wollen ihn natürlich schützen.“ Das Aufklärungsgespräch hatte Heyer schon vorher mit ihr geführt. „Die Leute sind supergut informiert und diszipliniert.“

Es sei wichtig, jetzt schnell die bettlägerigen Patienten zu impfen, denn das häufig wechselnde Pflegepersonal trage die Viren oft in die Privatwohnungen. Lukrativ ist das Impfen für die Hausärzte nicht. Für eine Impfung in der Praxis rechnet Heyer zwanzig Euro ab, wird in der Wohnung geimpft, kann er 35 Euro abrechnen. „Wir bestellen die Patienten jetzt aktiv ein.“ Wäre genug Impfstoff da, wären alle älteren oder vorerkrankten Patienten der Praxis innerhalb von zwei Wochen geimpft.

Die baden-württembergische Landesregierung rechnet damit, dass Anfang Mai 400.000 Impfdosen für die Hausärzte, ebenso viele für die Impfzentren und weitere 200.000 Dosen für die Betriebsärzte zur Verfügung stehen. Außerdem ist ein Landesimpfgipfel geplant, und das Gesundheitsministerium versucht, mit Gemeindeimpftagen Tempo zu machen. In der nächsten Woche will Heyer mit seinen Kollegen etwa fünfzig Patienten impfen, die bettlägerig oder dement sind und nicht mehr in das Kreisimpfzentrum oder in die Praxis kommen können.

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Die Ärzte klären die Patienten auf, die Impfspritzen verabreichen die zwei Versorgungsassistentinnen seiner Praxis. Eine aufgezogene Spritze mit dem Biontech/Pfizer-Vakzin muss innerhalb von zwei Stunden verimpft werden. Wenn Heyer Patienten aufsucht, die in einem Viertel wohnen, ist es möglich, innerhalb dieser zwei Stunden etwa sechs Patienten zu versorgen. Heyer glaubt, dass er für diese Patienten insgesamt nur eine Woche brauchen wird.

Bevor er mit dem Impfen in seiner Praxis begann, half der Hausarzt im „Zentralen Impfzentrum“ in der Stuttgarter Liederhalle. Er habe sich dort die Statistik angeschaut, weil er wissen wollte, welche Probleme es gab. Nach 100.000 Impfungen hätten seine Kollegen zwanzig Komplikationen registriert, davon seien zehn Treppenstürze gewesen, fünf anaphylaktische Schocks, also starke allergische Reaktionen. Nur zwei Patienten seien kurzfristig im Klinikum Stuttgart behandelt worden. Die anderen Patienten hätten Kreislaufprobleme gehabt, die mit der Impfung an sich nichts zu tun gehabt hätten, sagt Heyer.

Wie viele seiner Hausarztkollegen beschwert sich auch der Stuttgarter Mediziner über die überbordende Bürokratie. Für die vier zugelassenen Impfstoffe gebe es 21 Abrechnungsziffern, das sei unnötig, zumal das Robert-Koch-Institut (RKI) die Meldungen erst in vier Monaten erhalte. „Dann ist diese Pandemie hoffentlich vorbei, ich weiß nicht, was die mit den Daten wollen.“

Nachdem Patientin Turkowitsch die Praxis nach zwanzigminütiger Beobachtung verlassen hat, geht der Arzt zu seinem Computer und ruft im Internet die Registrierungsseite der Kassenärztlichen Vereinigung auf. Er trägt unter dem Ordner „Biontech/Pfizer“ die soeben verabfolgte Impfung ein. „Das ist für die Statistik natürlich sinnvoll.“ Die Daten werden ans RKI weitergeleitet. Auf der Seite werden für die Stuttgarter Praxis am Donnerstagnachmittag 21 Impfungen angezeigt. Am Freitag sind es schon 36. Bis Ende Juni wollen die beiden Ärzte alle ihre Patienten, die älter als fünfzig Jahre sind, geimpft haben.

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