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#„Wir dürfen die Afghanen nicht für ihre Regierung bestrafen“

„Wir dürfen die Afghanen nicht für ihre Regierung bestrafen“

In Afghanistan sieht die Welt eine humanitäre Katastrophe ablaufen. Millionen Menschen hungern, Kinder sterben. Die herrschenden Taliban bitten um internationale Hilfe, gehen aber kaum auf die Forderungen nach Achtung von fundamentalen Rechten ein. Was soll die internationale Gemeinschaft tun?

DAVID MILIBAND: Die Antwort ist eigentlich einfach: Wir stehen in Afghanistan nicht vor einem politischen Problem, sondern vor einem wirtschaftlichen, das Folge einer fehlgeleiteten Politik ist. Nicht die Taliban brauchen unsere Unterstützung, sondern das afghanische Volk bittet verzweifelt um Hilfe. Warum können wir nicht unterscheiden zwischen Differenzen mit den Taliban und unserem Verhältnis zum afghanischen Volk? Durch die Sanktionen und das Einfrieren der Auslandsguthaben wird das afghanische Volk für unsere Differenzen mit den Taliban bestraft. Damit haben die Amerikaner auch ihr Versprechen gebrochen, dass der militärische Rückzug aus Afghanistan keinen wirtschaftlichen Rückzug bedeuten sollte.

Sie fragen, warum 22 Millionen Menschen vom Welternährungsprogramm abhängen und neun Millionen Menschen an Hunger leiden? Das ist leicht zu erklären: Es liegt daran, dass im öffentlichen Dienst keine Gehälter mehr bezahlt werden und der Bankensektor nicht mehr funktioniert, weshalb die Privatwirtschaft nicht arbeiten kann. Im Ergebnis ist die gesamte Wirtschaft eingefroren. Die UN sagen, dass 97 Prozent der Afghanen in diesem Jahr in Armut leben werden. Mehr Hilfe ist da nicht die Antwort, sondern nur eine systematische Hilfe in einer funktionierenden Wirtschaft.

Also hätten Sie keine Probleme, mit den Taliban zu verhandeln, die Menschenrechte mit Füßen treten und zu denen gesuchte Terroristen gehören?

David Miliband leitet seit 2013 die Hilfsorganisation International Rescue Commitee (IRC) in New York, die Albert Einstein 1933 im amerikanischen Exil gegründet hatte. Von 2007 bis 2010 war Miliband britischer Außenminister.


David Miliband leitet seit 2013 die Hilfsorganisation International Rescue Commitee (IRC) in New York, die Albert Einstein 1933 im amerikanischen Exil gegründet hatte. Von 2007 bis 2010 war Miliband britischer Außenminister.
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Bild: IRC

MILIBAND: Das ist eine andere Frage. Mein Punkt ist: Wenn Deutschland oder die Vereinigten Staaten einen Lehrer bezahlen, lassen sie sich mit dem Lehrer ein und nicht mit den Taliban. Dass die afghanische Wirtschaft eingefroren wurde, trifft nicht zu allererst die Taliban, sondern die Menschen in Afghanistan.

Ich wäre sogar dafür, das Finanzministerium und die Zentralbank mit Experten direkt zu unterstützten, weil es den Taliban hier an technischen Fähigkeiten fehlt, was die Krise noch verschlimmert. Das ist eine ganz andere Frage als die der Anerkennung der Taliban. Bei der Anerkennung halten sich alle Länder zurück, sogar China. Aber mein Argument bezieht sich auf die Beziehung der internationalen Gemeinschaft, inklusive der Weltbank, zum afghanischen Volk. Wir spielen ein riskantes Spiel, wenn wir das afghanische Volk bestrafen, weil uns seine Regierung nicht gefällt.

Herr Heusgen, Sie waren bis zum Sommer einer der ranghöchsten deutschen Diplomaten. Verstehen Sie die Probleme, die die Bundesregierung dabei hat, mit den Taliban eine Ebene zu finden?

Christoph Heusgen, langjähriger Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, war von 2017 bis 2021 Ständiger Vertreter der Bundesrepublik bei den Vereinten Nationen. Künftig wird er die Leitung der Münchner Sicherheitskonferenz übernehmen.


Christoph Heusgen, langjähriger Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, war von 2017 bis 2021 Ständiger Vertreter der Bundesrepublik bei den Vereinten Nationen. Künftig wird er die Leitung der Münchner Sicherheitskonferenz übernehmen.
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Bild: dpa

HEUSGEN: Absolut. Aber ich stimme auch dem Satz völlig zu, dass wir die Menschen nicht für ihre schlechte Regierung bestrafen dürfen. Die meisten Menschen, die in Afghanistan leiden, können ja nichts für die Fehler, die auch schon von den alten Regierungen gemacht wurden. Also müssen wir für die Linderung der humanitären Krise sorgen. Die nächste Frage ist dann: Gehen wir noch darüber hinaus? Fangen wir etwa an, auch in Infrastruktur zu investieren? Dafür braucht man verlässliche Partner. Und wenn man diese Partner nicht hat, sollte man zurückhaltend sein.

In Afghanistan müssen wir ohnehin auf die Fehler gucken, die die internationale Gemeinschaft in der Vergangenheit gemacht hat: Wir haben unsere sehr umfangreiche Unterstützung der alten afghanischen Regierung zu wenig an konkrete Bedingungen geknüpft, an die Umsetzung „guter Regierungsführung“. Damit haben wir Korruption und Misswirtschaft in großem Ausmaß zugelassen. Doch bei grundlegender humanitärer Hilfe darf man nicht zögern.

Gilt das ohne Einschränkungen?

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