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#Wo keiner mehr an Wahlen glaubt

„Wo keiner mehr an Wahlen glaubt“

Das Misstrauensvotum gegen den Prä­sidenten und sein neues politisches System fiel deutlich aus. Am Wochenende gingen so wenige Tunesier zur Parlamentswahl wie seit der friedlichen Revolution 2011 nicht, als der Arabische Frühling in dem nordafrikanischen Land seinen An­fang nahm.

Nur gut 804.000 der neun Millionen Wahlberechtigten gaben bei den vorgezogenen Par­lamentswahlen ihre Stimme ab, wie die Wahlbehörde ISIE mitteilte. Das entspricht einer Wahlbeteiligung von 8,8 Prozent. Im Wahllokal Borj El Khadhra im Süden Tunesiens blieben laut der Wahlkommission die Wahlurnen ganz leer.

Die Oppositionsparteien fordern nun den Rücktritt von Präsident Kaïs Saïed. Die „Nationale Rettungsfront“, in der sich mehrere Parteien zusammengeschlossen haben, rief zu Protesten auf, um das „System des 24. Juli 2021“ zu stürzen; damals hatte der Präsident die Macht übernommen. Die niedrige Wahlbeteiligung sei ein „Erdbeben der Stärke 8 auf der Richterskala“, teilte die Rettungsfront mit, in der die islamistische Ennahda-Partei eine wichtige Rolle spielt; sie war stärkste Kraft im alten Parlament.

Parteien waren von den Wahlen ausgeschlossen

Die Vorsitzende der nationalistischen PDL-Partei, Abir Moussi, forderte den Präsidenten zum Rücktritt auf. Wie andere Oppositions­parteien verlangt auch sie vorgezogene Präsidentschaftswahlen, da der Staatschef da­mit gescheitert sei, die wirtschaftliche Lage zu verbessern und das Land zu reformieren. Die Opposition hatte die Parlamentswahlen boykottiert, von denen der Präsident die Parteien weitgehend ausgeschlossen hatte.

Der Vorsitzende der Wahlbehörde ISIE, Farouk Bouasker, sprach von einer „be­scheidenen, aber nicht beschämenden Quo­te“. Sie sei darauf zurückzuführen, dass es im Gegensatz zur Vergangenheit „überhaupt keinen Stimmenkauf (…) mit ausländischer Finanzierung“ gegeben ha­be. In Tunis rätselt man dennoch darüber, weshalb die Wahlbehörde, deren Vor­sitzenden der Präsident selbst eingesetzt hat, mit so großer Transparenz die Zahlen offenlegte – und wer ein Interesse daran haben könnte, ihn zu schwächen.

Leere Herzen, leere Wahlurnen

Kaïs Saïed hatte die Parteien zur Ursache allen Übels erklärt, sie praktisch von der Wahl ausgeschlossen. Damit traf er die Stimmung in großen Teilen der frus­trierten Bevölkerung, die enttäuscht ist, weil sich ihre Lebensverhältnisse seit 2011 nicht besserten. Er appellierte am Samstag an die Wähler, die „his­torische Gelegenheit zu nutzen, ihre legitimen Rechte wiederzuerlangen“. Doch von dem neuen Parlament mit seinen stark begrenzten Befugnissen halten mehr als 90 Prozent der Tunesier offenbar nichts. Der Präsident strebt eine „Ba­sisdemokratie“ an, die die Parteien an den Rand drängt.

In Umfragen hatte Saïed sich nach seinem harten Durchgreifen zunächst großer Beliebtheit erfreut. Er etablierte im einstigen Hoffnungsland der Arabellion ein präsidiales und autoritäres Regime mit einem schwachen Parlament, für das sich nur individuelle Kandidaten, aber keine Parteien bewerben durften. Die meisten der 1055 Kandidaten, von denen gut die Hälfte Lehrer oder Beamte sind, waren unbekannt. Nur gut 16 Prozent waren Frauen.

Schon im Juli war bei dem Referendum über die Verfassung aufgefallen, dass es dem Präsidenten schwerfällt, die Bürger für sein Projekt zu mobilisieren. Damals betrug die Beteiligung noch gut 30 Prozent, von denen 95 Prozent für die von ihm geschriebene Verfassung stimmten. An der zweiten Runde der Präsidentenwahl, die der Außenseiter Saïed 2019 ge­wann, hatten noch 56 Prozent teilgenommen. Bei der Parlamentswahl im gleichen Jahr waren es 41 Prozent, im Jahr 2014 sogar 69 Prozent. Aber auch der Opposition, die jetzt zu neuen Demons­trationen aufruft, gelang es in den vergangenen Monaten nur, wenige Tausend Tunesier gegen den Präsidenten auf die Straße zu bringen.

Eine ähnliche poli­tische Lethargie ist in der ganzen Region zu beobachten. Im Nachbarland Algerien ist von der Hirak-Protestbewegung kaum etwas übrig geblieben. An der Parlamentswahl 2021 nahm dort weniger als ein Viertel der Wähler teil.

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