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Zeus und der Mensch

Zehn Stunden Theater also. Zehn Stunden Antike, Prometheus, Troja und Orestie, zehn Stunden Kampf um Schicksal, Selbstbestimmung und den eigenen Weg, voller Gewalt, Grausamkeit, Mut, Angst, Hoffnung – und ja, vor allem am Ende auch Kitsch, der einem die Tränen in die Augen treibt. Als um kurz vor Mitternacht die Sonne kugelrund und riesig über dem Sommerbau aufgeht, die Schauspieler entkräftet auf dem Fußballrasen liegen und Matze Pröllochs am Schlagzeug, von Nebel umhüllt, wie schon oft an diesem Tag den kathartischen Moment begleitet, ist das zwar ein ziemlich einfaches Bild, aber auch ein rührendes. Es liegt sicher mit daran, dass die Zuschauer danach stehend applaudieren und gar nicht mehr aufhören wollen.

Christopher Rüpings vielfach ausgezeichnetes „Dionysos Stadt“, das im Oktober 2018 unter Intendant Matthias Lilienthal an den Münchner Kammerspielen seine viel diskutierte Premiere hatte, mit dem Sommerbau-Gestalter und Mousonturm-Intendanten Matthias Pees als Dramaturg neben Valerie Göhring, eröffnet die „Großen Frankfurter Dionysien in Offenbach“ an der Kaiserleipromenade, angelehnt an die mehrtägigen Festspiele zu Ehren des Gottes Dionysos im antiken Griechenland. Dass das Werk nochmals gezeigt wird, ist an sich schon etwas Besonderes.

Zuschauer fast um die gesamte Bühne herum

Von überall aus Deutschland sind die Besucher deshalb angereist, die Vorstellungen am nächsten Wochenende sind ausverkauft. Und dann auch noch in diesem an das Kolosseum erinnernden Bau aus drei Logenstockwerken in Rot-Schwarz, in denen die Zuschauer fast um die gesamte Bühne herum sitzen. Nichts kann ihnen entgehen. Sie gehören dazu, nehmen teil am Leiden von Prometheus, Zeus und Io, Achill, Hektor, Hekabe und Andromache, Klytaimnestra, Aigisthos, Elektra und Orest. Über ihre Köpfe schwebt am Ende der ersten von drei Tragödien Prometheus hinweg, vom weißen Kot des jahrtausendelang an seiner Leber fressenden Adlers bedeckt, getragen von einem riesigen Kran in schwindelerregende Höhen, von Zeus dafür bestraft, dass er an das Potential der Menschheit glaubte und sich dem Willen der Götter widersetzte, indem er ihnen das Feuer brachte, die Wissenschaft und die Technik.

Es ist, als wäre „Dionysos Stadt“ für den Sommerbau gemacht worden. Wenn Nils Kahnwald in den ersten Minuten über die Vorstellung plaudert und das Publikum befragt, als handle es sich um die launige Einführung eines Zirkusdirektors, wenn die Zuschauer mitten im Stück auf der „Grün“ anzeigenden Raucherbank, einer Stuhlreihe aus der Münchner U-Bahn, eine Zigarette paffen, während vor ihnen das Drama seinen Lauf nimmt, und wenn sich im dritten Teil zur Orestie die Bühne mit Ouzo trinkenden Zuschauern füllt, die den blutigen Verfall der Familie Agamemnons fast wie zusätzliche Darsteller erleben, macht sich die luftig-freie Gestaltung des Baus bezahlt. So, denkt man, mit den sicht- und hörbaren Reaktionen der Zuschauer und der Sauferei auf der Bühne, könnte es vor Jahrtausenden auch bei den Dionysien in Athen gewesen sein.

Die ersten Takte von Haftbefehls „069“

München, Berlin, Offenbach und Frankfurt, so ganz ohne Kommentar darf diese Aneinanderreihung von Spielorten natürlich nicht bleiben. Also rufen anstatt eines Gongs die ersten Takte von Haftbefehls „069“ das Publikum nach den Pausen zurück in die Logen. Und Elektra und Pylades wollen sich vor ihrer Hinrichtung noch einen letzten schönen Tag in Offenbach machen, Grüne Soße essen, in den Main springen. Muss nicht sein, doch die Heimischen finden es witzig.

Das Gelächter und manch platter Witz sind Teil dieses Theatermarathons, was in Ordnung ist, weil sie der pausenlosen Heftigkeit der Geschichten für einen Moment die Luft nehmen. Im Vordergrund aber steht der Rausch, der unglaubliche Sog, den das Spiel von Nils Kahnwald, Benjamin Radjaipour, Maja Beckmann, Gro Swantje Kohlhof, Majd Feddah, Jochen Noch und Wiebke Mollenhauer auf der Bühne von Jonathan Mertz entwickelt, begleitet von Matze Pröllochs’ und Jonas Holles Musik. Zehn Stunden Theater mögen im antiken Athen üblich gewesen sein, im ungeduldigen, entertainmentverdorbenen Deutschland des frühen 21. Jahrhunderts sind sie ein Test für den Geist, die Fähigkeit zur Hingabe, die Liebe zum Theater.

Doch es gelingt dem Stück mühelos, die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu halten. Gelegentlich liegt das daran, dass das Geschehen auf der Bühne unschwer zu entschlüsseln ist, dass es Spektakel gibt und die Orestie im „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“-Stil als Seifenoper inszeniert ist. Das ändert nichts an der Intensität des Stoffs und der Schauspieler, die alle miteinander Fantastisches leisten. Radjaipours Prometheus zerreißt einem in seinem Leiden für das nur vermeintlich Gute fast das Herz, Mollenhauers Gespräch zwischen Menelaos, Helena und Hekabe ist von schauderhafter Faszination und Erkenntnishaltigkeit, das Gespräch der zur Beute degradierten Trojanerinnen ist mit seinem bissigen Feminismus aktueller denn je.

Was für eine Spezies wollen wir sein? Haben wir verdient, was Prometheus uns gab? Ekeln sich beim Blick auf die Menschheit irgendwo draußen im All die Aliens, wie Nils Kahnwald ganz am Anfang sagt? Warum tun wir, was wir tun, führen Kriege, sind grausam, lassen ein Übel das nächste hervorbringen und befreien uns nie aus dieser Spirale? „Dionysos Stadt“ fragt nach dem Schicksal, dem Vorherbestimmten, der Macht der Götter. Es erzählt vom Wunsch der von ihrer eigenen Großartigkeit betrunkenen Menschen, die Götter zu vernichten und ihren eigenen Weg zu bestimmen. Und dann? Diese Frage bleibt. Auch nach zehn Stunden, die zuvor endlos schienen und dann so schnell vorbei sind. Der Kopf ist voll, die Gedanken kreisen. Ach, Theater!

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