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#Zwischen „Postost“ und „Postsowjetisch“

„Zwischen „Postost“ und „Postsowjetisch““

Über Russlanddeutsche wird viel geschrieben. Meist geht es um ihre Haltung zu Migration, ihr Verhältnis zur AfD und ganz aktuell um ihre Position zu Russland und Putin. Mal ist von Deutschen aus Russland, (Spät-)Aussiedlern oder irrtümlicherweise auch von Deutschrussen die Rede. Oberbegriffe wie „postost“ und „postsowjetisch“ sollen der Heterogenität innerhalb der Gruppe Rechnung tragen.

Es gibt eine Vielzahl von Begrifflichkeiten, manche sind Selbstbezeichnungen, andere Fremdzuschreibungen. Dass es sehr wohl einen Unterschied macht, welcher der Begriffe für eine der größten migrantischen Gruppen in der Bundesrepublik verwendet wird, ist kaum bekannt. Und auch die mediale Sichtbarkeit, die eine vormals unsichtbare und lange Zeit als bestens integriert geltende Gruppe erfährt, kann nicht nur positiv gedeutet werden.

Häufig treten sie in Verbindung mit negativen Ereignissen und Entwicklungen in Erscheinung. So sorgte man sich kurz nach ihrer Ankunft um steigende Kriminalitätsraten, berichtete 2016 von den fremdenfeindlichen Demonstrationen im „Fall Lisa“, bei denen gegen die angebliche Vertuschung nach einem Vergewaltigungsvorwurf eines dreizehnjährigen Mädchens gegen Geflüchtete protestiert wurde und beobachtete im Frühjahr pro-russische Autokorsos, bei denen Männer in Putin-Shirts auftraten.

So spricht der Politologe Felix Riefer beim Symposium „Meinung. Mitsprache. Wirkung – Deutsche aus Russland in der öffentlichen Wahrnehmung“ vom „Wahrnehmungsdunkel“, in dem sich Russlanddeutsche seit der großen Migrationsbewegung der neunziger Jahre befinden. Vertreter aus Politik, Kultur und Medien diskutierten auf der Tagung in Fulda die Ursache einer Repräsentation, die zumeist eine laute Minderheit in den Vordergrund rückt, aber Folgen für alle hat.

Nahezu unsichtbar

Eine aktuelle Studie, die Arne Friedrichs vom Sachverständigenrat für Integration und Migration vorstellte, bestätigt dies und bescheinigt den (Spät-)Aussiedlern eine hohe Arbeitsmarktbeteiligung, gute soziale Kontakte zu Einheimischen und eine Nähe zu den Unionsparteien, wenngleich ein nicht unerheblicher Prozentsatz den politischen Rändern zugeneigt ist.

Auch den massenhaften Konsum prorussischer Propaganda können die Forscher nicht belegen. Allerdings ist etwa ein Viertel der Zugewanderten für die Berichterstattung aus ihrem Herkunftsland zu­gänglich. Diese Zahl dürfte vor dem Hintergrund des Angriffskriegs gegen die Uk­ra­ine noch zunehmen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich eine Mehrheit der Deutschen aus Russland und anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunion als politisch weder kompetent noch interessiert beschreibt.

Tatsächlich galten Russlanddeutsche auch deshalb so lange als nahezu unsichtbar, weil sie kaum Vertreter in Politik und Medien hatten, die ihre Be­dürfnisse und Anliegen artikulieren konnten. Erst 2013 schaffte es der erste Abgeordnete mit russlanddeutscher Mi­grationsgeschichte in den Bundestag. Wenn auf dem Symposium also die Frage nach mehr politischer Partizipation ge­stellt wird, muss auch daran erinnert werden, dass die Russlanddeutschen als jahrzehntelang unterdrückte Minderheit in ihrer Herkunftsländern lange Zeit gut daran taten, sich möglichst unauffällig zu verhalten.

Der Eintrag ihrer Volkszugehörigkeit im Pass war ein Makel und verhinderte häufig den Zugang zu Universitäten und öffentlichen Ämtern. Das kollektive Erbe der Deportation und Verfolgung ließen eine ganze Bevölkerungsgruppe erstarren und lähmten sie in ihrer Handlungsfähigkeit. Auch diese Geschichten werden in Fulda erzählt.

Zerrissene Identitäten

Es sind Geschichten von zerrissenen Identitäten und falschen Namen, die niemand außer Behörden je benutzen würde. Es geht um ein neues Selbstverständnis und das Hadern mit sich selbst – verborgen vor der Mehrheitsgesellschaft. Es ist das Kriegsfolgenschicksal, was die Deutschen aus Russland verbindet. Kaum ein Familienverbund blieb von Deportation und Verfolgung verschont. Die Migration in ihre „historische Heimat“ Deutschland liegt hier begründet.

Die Journalistin Katharina Heinrich, in Kirgisien geboren und bereits in den siebziger Jahren nach Deutschland ausgesiedelt, formuliert dies so: „Dass ich heute hier bin, ist eine Wiedergutmachung der Deutschen an meiner Familie und meiner Identität.” Doch ein großer Teil der deutschen Bevölkerung weiß noch immer zu wenig über die Hintergründe dieser Migrationsbewegung.

Auch das gehört zum Russlanddeutschsein dazu: Sich und seine Familiengeschichte immer wieder erklären zu müssen. Auch in Fulda werden komplexe Stammbäume auf wichtigste Eckdaten heruntergebrochen. Um großzügig Aufklärung betreiben zu können, braucht es Ressourcen. Auch wenn sich in den letzten Jahren einiges hinsichtlich der Quellenlage und öffentlich finanzierter Bildungsprojekte getan hat, so brauche es mehr Förderung, um auch in anderen Formaten denken zu können, heißt es in Fulda, etwa ein Fernsehfilm, der russlanddeutsche Lebensrealitäten thematisiert.

Während wichtige Forschungsprojekte wie die Juniorprofessur für Migration und Integration der Russlanddeutschen an der Universität Osnabrück auslaufen, formieren sich in den sozialen Netzwerken junge Akteure, die in Podcasts und auf Plattformen wie „ostklick“ Vermittlungsarbeit leisten und dabei sowohl die Mehrheitsgesellschaft als auch Menschen aus den eigenen Reihen, die sich bisher nicht mit ihrer Geschichte auseinandergesetzt haben, aufklären.

Edwin Warkentin, Bildungsreferent beim Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold und Mitbegründer des Steppenkinder-Podcasts, bilanziert: „Wir bohren keine dicken Bretter mehr wie noch vor einigen Jahren. Heute weben wir an einem Geräuschteppich, der das Potenzial hat, an andere Teppiche anzuknüpfen.“

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