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#Wenn sich das Universum verwählt

Wenn sich das Universum verwählt

Schon wieder Apokalypse. Hier vom Ende her gedacht. Wobei, Ende, Anfang? Sie werden sehen, das sind hier keine Kategorien mehr. Sehen ist wiederum etwas zu viel versprochen bei einer Serie wie „Calls“, deren Geschehen sich ausschließlich aus Telefonanrufen zusammensetzt, die nicht durch gefilmte Bilder, sondern aufwendige Klangvisualisierungen atmosphärisch aufgeladen werden.

Axel Weidemann

Wenn man so will, ist „Calls“ ein Format, das auf die Dunkelkammer zwischen Herz und Hirn zielt, den sechsten Sinn, das dritte Auge, das zweite Gesicht. In der ersten Folge telefonieren Tim (Nicholas Braun) und Sara (Karen Gillan) am 30. Dezember (vermutlich) miteinander. Eigentlich will Tim der in New York weilenden Sara erklären, dass es in Los Angeles eine andere gibt: Camilla (Lily Collins). Doch Sara berichtet plötzlich von einem Fremden in der Wohnung, von dem sie nur die Silhouette sieht: „Irgendetwas stimmt mit seinen Armen nicht!“ Tim stellt derweil fest, dass entweder die Frau in seinem Bett, die er für Camilla hielt, nicht die ist, für die sie sich ausgibt; oder dass diejenige lügt, die später am Telefon mit Camillas Stimme zu ihm spricht.

Der Frau im Bett geht es jedenfalls gar nicht gut: „Es ist, als sei ihr die Haut vom Gesicht geschmolzen“, stottert Tim. „Haben Sie Drogen genommen?“, fragt die Dame vom Notruf 911. Später werden Tim und Sara telefonierend in den Himmel steigen. Er wird fragen: „Kannst du es sehen?“ Sie wird antworten: „Ja.“ Und in der Art und Weise, wie ihre Namen sich in diesen Augenblicken leicht schwebend über die Klangmuster erheben, die die Schwingungen ihrer Worte begleiten und Gefühl und Atmosphäre mit Farbe untermalen, lässt sich erkennen, warum „Calls“ mehr ist als ein Hörspiel.

In der zweiten Folge springt die Serie zurück auf den 9. Februar. Wir lauschen Mark (Aaron Taylor-Johnson) und Rose (Riley Keough) und sehen ihre Namen entlang konzentrischer Ringe, die ganz allmählich ihre Form verändern. Zuvor, elf verpasste Anrufe auf dem Handy. Mark braucht etwas Zeit, um zu verdauen, dass Rose schwanger ist. Keine Kinder – darauf hatten sie sich geeinigt. Als Rose ihn eine Minute später wieder anruft, sind bei ihr drei Tage vergangen. Ringe werden zu Spiralen, Spiralen zu Maelströmen, Maelströme zu Unendlichkeitszeichen. Wenig später ist sein erwachsener Sohn am Telefon. Das sind denn auch die vorrangigen Probleme in „Calls“: Menschen reden aneinander vorbei, schmelzen unter Schmerzen, die Zeit auch. Keiner versteht es.

Nichts wird durch die Cadrage gefilmter Bilder begrenzt

Im Paket, geschnürt vom uruguayischen Regisseur Fede Alvarez, wirkt all das angenehm überwältigend. Wie eine Kombination aus Audio-Live-Kommentar zum Orson-Welles-Hörspiel von H.G. Wells’ „Der Krieg der Welten“ und der Optik des zäh pfeifenden Endes von Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“. Spielerisch darüber gestreut ist die blinkende Symbolwelt der modernen Telefonie. Und wenn man sich fragt, während man derart mit den Augen hört und den Ohren sieht, ob so wohl die menschliche Seele klingt – dann meint Klang exakt diese Mischung aus Ton und Form, die hier von einem Teppich aus audiovisuellem Rauschen und homöopathisch eingesetzter Musik – also der Welt – umfangen wird.

Das Gehörte wird nicht durch die Cadrage gefilmter Bilder begrenzt. Erst dadurch gelingt es überhaupt, dass der Hör-Zuschauer, wenn er Rose und Mark lauscht, Marks grenzenlose Verlorenheit im Unverständnis dessen spüren kann, was sichtbar wird, wenn das Rettungsbootkonstrukt Zeit auseinanderzufallen beginnt.

„Calls“ gibt wenig vor. Stattdessen stimuliert es die Vorstellung, lenkt sie mitunter auf elegant-schaurige Weise: Als die kranke Layla (Laura Harrier) mit ihrer Schwester Kate (Rosario Dawson) spricht – ihre Namen sind verteilt auf die Punkte C und B eines gleichseitigen Dreiecks –, dann verdichtet sich ihr Gesagtes in gleißendem Rot um den Winkel Beta. Der Zuschauer weiß durch diesen Kniff in dem Moment viel mehr, als er ahnt, nämlich, dass sich Layla ihr grausames Martyrium – „Ich habe meinen linken Arm verloren“ – nicht einbildet.

Der eigentliche Horror der Serie hängt eng mit einer Zeit zusammen, in der wir auf Fernkommunikation stärker angewiesen sind denn je. In „Calls“ gibt es etwas, das unsere in Wellenform durch den Äther fliegenden Ansprachen aus der Zeit löst, in der sich Sender und Adressat zu befinden glauben. So entkoppelt sich Gesagtes vom Sprecher und kann – auch das führt „Calls“ auf gruselige Weise vor – komplett seiner ursprünglichen Bedeutung beraubt werden. Trotzdem geht es hier nicht um versteckte Social-Media-Kritik à la „das passiert, wenn Dinge aus dem Kontext gerissen werden“.

Denn die Anomalie der zeitversetzten Gespräche hat auch ihr Gutes: So können reuige Mörder im Nachgang ihr eigenes Opfer vor sich selbst warnen. „Es ist wahr“, sagt Laylas verängstigte Schwester Kate zu ihrem fast Exmann Craig (Gilbert Owuor). „Was?“, fragt der. „Alles“, sagt sie. Als Zuschauer – die Ohren unter Kopfhörern oder den Stuhl vor die Box gerückt – kommt man sich dabei vor, als wäre man selbst ein lauschender Teil dessen, was hier in den finstersten Falten der Ewigkeit lauert und entschieden zu haben scheint, dass es an der Zeit ist, dem Anfang ein Ende zu bereiten.

Calls ist bei Apple TV+ zu hören.

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