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#Als die Frauen kurz mal die Welt retteten

Als die Frauen kurz mal die Welt retteten

Als Kaufhauserbe Harry Jandorf (Joel Basman) Anfang des Jahres 1919 aus der Kriegsgefangenschaft nach Berlin zurückkehrt, traumatisiert und mit dem Ballast eines toten Kameraden (Martin Bruchmann) im seelischen Gepäck, haben Frauen die Stadt übernommen. Sie sind Chauffeurinnen – „Haben Sie schon einmal einen toten Mann Auto fahren sehen oder einen ohne Beine?“ –, stellen den Löwenanteil der Beschäftigten im „Kaufhaus des Westens“, entwerfen Kleidung, geben Zeitschriften heraus und beginnen, in Nachtclubs lesbische Subkultur zu feiern. Vorgesetzte sind fast ausnahmslos Männer, obwohl der Frauenanteil der Berliner Bevölkerung 78 Prozent beträgt. Es gibt allein 600 000 Kriegerwitwen zwischen zwanzig und fünfunddreißig Jahren, auf vier Frauen kommt ein Mann. Nicht nur politisch scheint Revolution möglich.

In der ersten Folge der Serie „Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit“ und auch später stehen viele Zeichen auf Aufbruch. Gleichzeitig erstarken die restaurativen und antidemokratischen, antisemitischen und frauenfeindlichen Kräfte. Nicht nur Wien, sondern auch Berlin wird zur „Versuchsstation des Weltuntergangs“ (Karl Kraus). Vorübergehend, so zeigt es diese auf neue Weise antinostalgisch inszenierte, nicht nur historische, sondern das historisch-kritische Potential, den Möglichkeitsspielraum der Zeit ästhetisch freilegende Serie von Julia von Heinz (Gesamtkonzept, Regie, Drehbuch), ist das Berlin der goldenen Zwanziger eben auch Versuchsstation der Utopie, der Gleichstellung und des kreativen Wandels.

Das Gastspiel des fiebrigen Lebenshungers

Am Ende der sechsten und letzten Folge wird Harry Jandorf mit seiner Mutter Cordula (Victoria Trauttmansdorff) nach Amerika ausreisen. Das Gastspiel seines fiebrigen und genialischen, anfangs drogenbetäubten Lebenshungers, der sich in wirtschaftlichem Optimismus, in der Ausrichtung des Unternehmens KaDeWe auf Luxus, auf moderne Reklame und Shopping als Gefühlssteigerung ausdrückte, ist vorbei. Das Kaufhaus musste er seinem Mitgeschäftsführer, dem biederen Zahlenmenschen Georg Karg (Damian Thüne), überschreiben. Der deutsche Bankenverband, aus dem selbst nach und nach die jüdischen Mitglieder entfernt werden, vergibt seine Kredite nicht mehr an Juden.

Es ist noc Champus da: Szene aus „Eldorado KaDeWe“.


Es ist noc Champus da: Szene aus „Eldorado KaDeWe“.
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Bild: ARD Degeto/RBB/Constantin Film/

Adolf Jandorf (Jörg Pose), der das Kaufhaus 1907 gegründet hatte, eine Figur im Kaufmannshabitus wie von Thomas Mann gezeichnet, ist da schon gestorben. Auch Kaufhausbesitzer Tietz (Oliver Polak), der das KaDeWe als Juwel in seine Kaufhauskette übernommen hatte, wird hinausgedrängt. Juden sind plötzlich keine Deutschen mehr, sondern „Volksschädlinge“. Wie Mücke Kron (Neele Buchholz), eine junge Frau mit Down-Syndrom, die später als Euthanasieopfer ermordet werden wird. Wie die offen lesbisch lebenden Frauen, darunter Künstlerinnen, Fotografinnen, Redakteurinnen, Designerinnen, Sängerinnen und Varietéperformerinnen, deren anarchistisch-lebenslustiger Club „Eldorado“ erst von braunen Schlägern ausgehoben und dann zur NSDAP-Parteizentrale gemacht wird.

„Eldorado KaDeWe“ erzählt die Geschichte des Kaufhauses mit genauer Verortung der Strömungen der Zwanziger als überzeugende Mischung von Wirklichkeit und Möglichkeit, von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – nicht nur in den Drehbüchern (neben Julia von Heinz auch John Quester, Sabine Steyer-Violet und Oskar Sulowski), sondern in vielen Gewerken. Schon bald bleibt der de Blick an Plakaten hängen, die wie aus der Zeit in die Aktualität gefallen sind – wie eine Filmanzeige zu Rosa von Praunheims „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ (1971). Hinter der Kaufhausfassade des KaDeWe ragt ein Kran in die Höhe, davor stehen moderne Taxis (Bildgestaltung Daniela Knapp). Fritzi Jandorf (Lia von Blarer) fährt in einer S-Bahn von heute. Das Mietskasernengebäude, in dem die Verkäuferin Hedi Kron (Valerie Stoll) mit ihrem kriegsversehrten Vater Rudolf (Martin Ontrop) und Schwester Mücke lebt, in dem sie später mit ihrem Ehemann, dem NSDAP-Funktionär Rüdiger Hartmann (Tonio Schneider), verzweifelt versucht, keine „deutsche Mutter“ im Sinne der NS-Ideologie zu werden, ist dagegen konsequent mit zeithistorischen Artefakten gestaltet.

Die Wirkung der bruchlos ineinander übergehenden Zeitebenen ist grandios anschaulich. „Eldorado KaDeWe“ ist, elegant und mühelos verwoben wie der „alte Tibetteppich“, von dem Else Lasker-Schüler in einem ihrer Gedichte spricht, eine „maschentausendabertausendweite“ Verbindung des „weit hergeholten“ Historischen mit dem nahen, immer noch Aufgegebenen der Jetztzeit. Mit Fragen der unvollendeten Gleichstellung und Demokratie, mit aktuellem Antisemitismus und Diskriminierung hat diese Serie ebenso viel zu schaffen. Sie erkennt das Jetzt im Gewordenen. Das nennt man auch historischen Sinn.

Die Liebe als kritische Macht

Julia von Heinz stellt dabei eine ganz bestimmte Utopie in den Mittelpunkt: die Liebe als kritische Macht. Genauer gesagt, die lesbische Liebe. Fritzi und Hedi, im Gegensatz zu Harry Jandorf und Georg Karg keine historischen, sondern fiktive Figuren, erleben sinnlich inszenierte Momente. Sie lesen einander Gedichte der Entgrenzung und Überwindung durch Liebe vor.

Für sie ist die Dichterin Else Lasker-Schüler (der die Serie gewidmet ist) ihre Fackel. Dass gerade ihnen beiden, denen die Zeit ihr Glück nicht gönnt, ein mit aller Bestimmtheit gesetztes Glück zum Ende hin geschenkt wird, macht diese unbedingt sehenswerte Serie noch außergewöhnlicher. Geschichte ist, vielleicht gerade im Fernsehen oder im „Bewegtbild“, nicht nur das, was war, sondern auch das, was hätte sein können oder sein sollen. „Eldorado KaDeWe“ setzt auch in dieser Hinsicht neue Maß­stäbe.

Eldorado KaDeWe, 20.15 Uhr im Ersten und in der ARD-Mediathek

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