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Arbeit am Ich

Willi Sittes Gemälde „Rufer II“ betreibt Etikettenschwindel. Denn „Rufer I“ gibt es nicht. Nicht mehr: Sitte übermalte es 1964 mit der neuen Fassung. Das war auch Arbeit am Ich, für die es aus der Sicht des Künstlers gute politische Gründe gab. Äs­thetische waren es eher weniger.

Aber Sitte hatte erfahren müssen, was es hieß, sich mit der SED anzulegen: „Was für ein hervorragender Künstler könne Genosse Sitte sein, wenn er sich konsequent für den sozialistischen Realismus entscheiden könnte“, war aus der Feder eines hohen Funktionärs im Dezember 1962 in der Parteizeitung Neues Deutschland zu lesen ge­wesen – als Reaktion auf harsche Kritik, die der Maler im Kreis von Kollegen an den Kunstpraktiken in der DDR geübt hatte, was prompt der Stasi zugetragen worden war. Sitte war sogar so weit gegangen, an­zudrohen, künftig nie wieder Bilder an große Ausstellungen zu geben. Im Fe­bruar 1963 sollte er aber schon kapitulieren: mit einer Selbstkritik, die zuerst in ei­ner Tageszeitung seines Wohn- und Wirkungsorts Halle erschien und dann vom Neuen Deutschland nachgedruckt wurde. Diese Er­klärung bezeichnet den entscheidenden Bruch in seinem Leben: Die Partei belohnte den zu Kreuze Gekrochenen prompt mit seiner ersten Einzelausstellung. Aber Sittes Bilder sahen fortan an­ders aus.

Die Wandlung eines Malers

Nicht mehr wie „Rufer I“ aus dem Streitjahr 1962, das eine in eher blassen Farben neusachlich gehaltene Figur mit Hemd, Pul­lunder und abgewandtem Blick gezeigt hatte, von der man hätte meinen können, dieser Mann bestellte bei seinen Kollegen auf der Baustelle gerade eine Tasse Kaffee. Für „Rufer II“ trug Sitte pastose farbintensive Malschichten auf, machte das Gesicht expressiver, proletarisierte die Figur (weit aufgeknüpftes Hemd) und zerknitterte die Tageszeitung in ihrer Hand, damit sie zu den groben Arbeiterhänden passte. Zudem wurden die im Bild collagierten Zeitungsseiten stark übermalt, denn die Collagetechnik galt als bürgerlich-formalistisches Verfahren und war in der DDR verfemt. Diese Verwandlung gelang so gut, dass das Gemälde 1971 Titelmotiv des Katalogs zur Retrospektive wurde, die ihm das Museum Moritzburg in Halle zum fünfzigsten Ge­burtstag ausrichtete.

Heute, fünfzig Jahre danach, richtet dasselbe Haus wieder eine Willi-Sitte-Retro­spektive aus, zum hundertsten Geburtstag des 2013 gestorbenen Malers. Die Zeiten haben sich gewandelt, die DDR ist untergegangen, aber Sitte war bis zum Tod seinem Sinneswandel von 1963 treu geblieben. Noch im Sommer 1989 hatte er erklärt: „In dem Augenblick, wo die Kunst selbständig wird, sich unabhängig von Staat und Partei macht, hebt sie sich vom Leben, von den Menschen ab. Ich halte das für sehr gefährlich.“ Das sagte er nicht nur als Maler, sondern auch als Mitglied des Zentralk­omitees des Politbüros der SED, also der mächtigsten Instanz der DDR. Wenige Monate später sprach er wieder ein Ausstellungsverbot für seine Werke in der DDR aus: diesmal aufgrund seiner Enttäuschung über den po­litischen Umbruch. Es blieb zwölf Jahre in Kraft, aber interessierte nur wenige; Sitte galt und gilt als Mann von gestern. Was sollte er uns heute noch zu sagen haben? Oder wieder?

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