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Böse Mädchen im Kloster

Die großen Kinoautoren werden in Cannes gehätschelt, aber der kommerzielle Glamour ist für das Festival genauso wichtig, und die Filme von Paul Verhoeven passen ideal in beide Kategorien. Vor fast dreißig Jahren lief sein Erotikthriller „Basic Instinct“ im Wettbewerb, 2016 kehrte er mit Isabelle Huppert und „Elle“ an die Croisette zurück, und jetzt ist er mit „Benedetta“ wieder hier, der Verfilmung einer wahren Geschichte aus dem Italien des siebzehnten Jahrhunderts. Es geht um eine Nonne, die wegen ihrer Christus-Visionen und wegen ihrer lesbischen Liebe zu einer Mitschwester zum Opfer der Inquisition und zugleich zur Volksheldin einer toskanischen Kleinstadt wurde. Verhoevens langjähriger Drehbuchautor Gerard Soeteman ist aus dem Projekt ausgestiegen, weil es ihm, wie er sagte, zu sehr auf das Thema Sexualität fixiert war, und so kam der Film mit dem Nimbus der cineastisch abgefederten Obszönitätenschau nach Cannes.

Davon kann, auch auf den zweiten Blick, keine Rede sein. Zwar zeigt die letzte Einstellung zwei nackte Frauen in blühender Natur, und auch davor sind gelegentlich entblößte Frauenkörper im Lustrausch oder auf der Streckbank des Folterers zu sehen, aber Sex ist nicht das Thema dieses Films. Worum es Verhoeven wirklich geht, ist das System, mit dem die katholische Kirche im Mittelalter und der frühen Neuzeit ihre Schäfchen zusammengehalten hat, der organisierte Wahnsinn aus Askese, Körperfeindlichkeit, Aberglauben und Angst. Die schlimmste intellektuelle Sünde in dieser Welt war die Blasphemie, die Entweihung des Heiligen, und eben davon handelt „Benedetta“.

Sie stellt sich Jesus vor

Denn Benedetta (Virginie Efira) macht mit Jesus das, was das Kino seit Pasolini und George Stevens mit ihm gemacht hat: Sie stellt ihn sich vor. Am Anfang sind ihre Visionen vom guten Hirten und himmlischen Bräutigam noch relativ keusch, aber als sie sich in die schöne Bartolomea verguckt, die vor dem sexuellen Missbrauch durch ihren Vater ins Theatinerkloster von Pescia geflohen ist, vermischt sich Benedettas Begehren mit der Erscheinung des Mannes am Kreuz. In ihrem Traum hat Jesus den Unterleib einer Frau, er fordert sie auf, sich auf ihn zu legen, und als sie erwacht, sind ihre Hände und Füße mit Wundmalen bedeckt, ohne dass man genau erfährt, ob sie die Stigmata empfangen oder sich selbst beigebracht hat.

Aber auch hier findet Benedetta die kinomäßig beste Lösung für ihre Situation, indem sie zur Regisseurin und zum Star ihres religiösen Traumspiels wird. Weil Jesus zu ihr spricht und die Kirchenmänner des Städtchens eine Heilige gut brauchen können, um ihre eigene Stellung aufzuwerten, übernimmt Benedetta schon bald die Leitung und bekommt so Gelegenheit, ihre lesbische Romanze auszuleben. Die abgesetzte Äbtissin sinnt allerdings auf Rache und mobilisiert einen päpstlichen Nuntius, der nicht nur die Inquisition, sondern auch die Pest nach Pescia bringt.

Das alles ist gefällig erzählt und schön anzusehen, schon deshalb, weil man Charlotte Rampling und Christopher Lambert, die Benedettas Widersacher spielen, immer gern zuschaut. Aber die in fünfzig Jahren erworbene Routine, mit der Verhoeven diesen Stoff inszeniert, hat eine Kehrseite. Das Innenleben seiner Figuren ist dem niederländischen Regisseur nämlich vollkommen gleichgültig, jede wird auf ihre Funktion in der Geschichte reduziert, und diese Kälte überträgt sich auf den Zuschauer. „Benedetta“ läuft wie ein Bilderbuch ab, nicht wie ein Drama, und deshalb wirken auch die visuellen Provokationen des Films – etwa die hölzerne Marienstatuette, aus der Benedettas Geliebte einen Dildo schnitzt – wie Museumsstücke. Die Belgierin Virginie Efira schließlich agiert trotz aller Wunden und Schreie so statuarisch, dass man sich fragt, ob Benedetta in einem Fürstenschloss nicht besser aufgehoben wäre. Vielleicht hätte Paul Verhoeven lieber einen Film über die Medici drehen sollen. Sex, Crime und Religion gab es bei ihnen reichlich, und Florenz liegt von Pescia aus um die Ecke.

Unter den Kino-Heiligen von Cannes jedenfalls war Benedetta ein Leichtgewicht: Wirklich böse Mädchen traf man anderswo. In Catherine Corsinis „La fracture“, einem Film, der ein wenig unbeholfen die Gelbwesten-Krawalle von 2019 mit einer Frauenliebesgeschichte zu verknüpfen versucht, spielt Valeria Bruni Tedeschi eine Comiczeichnerin in der Lebenskrise. Als sie auf der Straße stürzt und sich den Arm bricht, kommt sie ins Krankenhaus, und dort lässt sie ihrem hysterischen Selbstmitleid freien Lauf, ehe sie im Chaos der Pariser Gewaltexzesse ihren Mund zu halten lernt. Es gibt Filmfiguren, deren Glaubwürdigkeit an Belästigung grenzt, und Bruni Tedeschis Zeichnerin gehört dazu. Jedenfalls ist man froh, dass sie in ihre Geschichte eingesperrt bleibt und nicht wie in einem alten Film von Woody Allen von der Leinwand herabsteigt, um unser Leben in Unordnung zu bringen.

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