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#Buch von Wolfgang Schäuble: Erinnerungen an die „beratungsresistente“ Merkel

Wolfgang Schäuble schrieb in seinen Lebenserinnerungen Gutes über Angela Merkel. Aber auch viel Kritisches über ihr Handeln in der Flüchtlingskrise der Jahre 2015 und 2016.

Es habe ihn „fast ein wenig“ amüsiert, schreibt Wolfgang Schäuble an der Stelle seiner Erinnerungen, an der es um einen Putsch gegen Angela Merkel geht. Sein Alter, damals 73 Jahre, sei bekannt, und er sei seit mehr als einem Vierteljahrhundert querschnittsgelähmt gewesen. Viele Nachrufe auf sich habe er zuvor gelesen, und nun habe er inmitten der Flüchtlingskrise doch den Sprung ins Kanzleramt wagen sollen.

„Das war einigermaßen absurd“, formuliert Schäuble, der Merkel lange als Minister gedient hat. Der „Stern“ hat am Mittwoch Auszüge veröffentlicht, das Buch erscheint in wenigen Tagen.

Schäuble erinnert daran, dass der einstige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber ihn auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise der Jahre 2015 und 2016 in seiner Verärgerung über den Kurs Merkels in der Migrationspolitik aufgefordert habe, die Kanzlerin zu stürzen und ihren Platz einzunehmen.

Er habe das „entschieden“ abgelehnt, schreibt der Ende vorigen Jahres verstorbene Schäuble. Das sei in der Überzeugung geschehen, „dass der Sturz der eigenen Kanzlerin unserer Partei langfristig nur schaden könnte“. So sei sein Verständnis von Loyalität gewesen, „das nach heutigen Maßstäben vielleicht ein wenig antiquiert erscheint“.

CSU-Kritik erzeugte keine Putschdynamik

Würde Schäuble noch leben, wäre er vermutlich auch über den Sturm im Wasserglas, den die Passage seiner Erinnerungen am Mittwoch ausgelöst hat, amüsiert gewesen. Erstens, weil schon im Jahr 2016 in den Medien über Stoibers Ansinnen und Schäubles Ablehnung berichtet wurde. Zweitens, weil es damals wirklich abwegig war.

Die CSU rannte zwar mit aller Kraft gegen Merkel an wegen ihrer Flüchtlingspolitik, aber für einen Sturz der Kanzlerin bot sich nicht nur in ihren Reihen niemand an, sondern erst recht nicht in der CDU. Nicht, dass es damals keine Kritik an Merkel gegeben hätte. Aber die Kritik der CSU erzeugte keine Putschdynamik, sondern sorgte eher dafür, dass sich die christdemokratischen Reihen schlossen.

Interessanter als das, was Schäuble an Fakten über die damalige Zeit berichtet, ist das Urteil, das er über Merkel und ihre Flüchtlingspolitik im Rückblick und mit dem eigenen Ende vor Augen abgibt. Das liest sich ein bisschen so, als wollte er sie nach dem Ende ihrer Kanzlerschaft zwar nicht nachträglich vom Thron stoßen, aber zumindest einige heftige Kratzer an dessen Beinen hinterlassen.

Wollte Merkel stürzen: Edmund Stoiber (rechts) zusammen mit ihr und Wolfgang Schäuble am 12. Juni 2002 in Berlin


Wollte Merkel stürzen: Edmund Stoiber (rechts) zusammen mit ihr und Wolfgang Schäuble am 12. Juni 2002 in Berlin
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Bild: Picture Alliance

Schäuble verpackt seine Kritik in wohlwollende Äußerungen. „Eigentlich konnte Merkel in jeder Phase wissen, dass sie sich auf mich verlassen konnte“, ist in dem Buch zu lesen. Auch verteidigt er die Entscheidung der Bundeskanzlerin, in der Nacht vom 4. auf den 5. September 2015 die deutschen Grenzen für die vielen aus Ungarn kommenden Flüchtlinge nicht zu schließen. Sogar ihre Formulierungen „Wir schaffen das“ und, es müsse weiter möglich sein, angesichts der nach Deutschland strebenden Menschen in Not „ein freundliches Gesicht“ zu zeigen, heißt er gut.

Schäuble: Merkel reiste zu spät in die Türkei

Das alles wirkt aber wie der Anlauf zu einer sehr grundsätzlichen Kritik. Ihre „starken Statements“ hätten „von einer Vielzahl weiterer Maßnahmen und Anstrengungen begleitet werden müssen, um zu verdeutlichen, dass diese einmalige Notmaßnahme unwiederholbar war“. Schäuble beschreibt – ausführlicher als Stoibers Vorstoß zum Kanzlerinnensturz –, wie er sich frühzeitig bemüht habe, Merkel zu Gesprächen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu bewegen, weil nur mithilfe der Türkei eine wirksame Begrenzung der Flüchtlingsströme möglich gewesen sei.

„Mein Ziel war es, die Kanzlerin dazu zu bewegen, nicht lediglich die Entwicklungen abzuwarten, um zu spät zu reagieren, sondern planvoll zu agieren und das Heft des Handelns in der Hand zu behalten.“ Leider habe er nicht viel bewirken können. Als Merkel schließlich doch in die Türkei gereist sei, sei das „bedauerlicherweise eher zu spät“ gewesen.

Das ist viel mehr als ein Einwand gegen Merkels Vorgehen auf einem einzelnen politischen Feld. Es ist die Grundsatzkritik, dass sie zu viel nach Kompromissen gesucht habe. „Nach meiner Einschätzung hätte sie ganz andere Möglichkeiten gehabt, um wirklich politisch zu führen und nicht nur zu reagieren“, schreibt Schäuble. „Merkels Führungsstil hat meine Loyalität strapaziert.“

Noch grundsätzlicher ist die Kritik, dass Merkel den Menschen in der Flüchtlingskrise das Ausmaß der Herausforderung verschwiegen habe. „Im Unterschied zur Kanzlerin hielt ich es für richtig, den Bürgerinnen und Bürgern reinen Wein einzuschenken und klarzumachen, dass der Einsatz für die Flüchtlinge eben auch mit Kosten und Opfern verbunden ist. Appelle allein nützten nichts.“ Er sei, so schreibt Schäuble, „gelegentlich frustriert“ gewesen, dass Merkel „in mancherlei Hinsicht beratungsresistent“ geblieben sei.

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