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#Chancen und Grenzen der Beteiligung

Frau Glaab, der erste vom Bundestag eingesetzte Bürgerrat soll Empfehlungen zum Thema „Ernährung im Wandel“ ausarbeiten. Ist Ernährung denn ein gutes Thema für einen Bürgerrat?

Ja, weil es kontrovers und auch emotional besetzt ist. Das zeigt sich in den Debatten über vegetarisches Essen, Ersatzprodukte wie Sojamilch oder die Lebensmittelampel. Ernährung ist aber auch ein gutes Thema, weil es jeden von uns unmittelbar betrifft. Die Teilnehmenden des Bürgerrats können also tatsächlich als „Experten in eigener Sache“ sprechen und ihr Alltags- und Erfahrungswissen einbringen.

Dieses Wissen haben aber doch auch die Abgeordneten. Warum braucht es da noch ein recht aufwändiges Beteiligungsformat?

Bürgerräte stoßen in eine Lücke, die politische Parteien offenkundig nicht mehr auszufüllen vermögen – weil sie unter Mitgliederschwund und fehlender Grasverwurzelung leiden. Mit seinen Empfehlungen kann der Bürgerrat zur Versachlichung der Debatte und zur Verständigung beitragen. Dabei kommt es aber nicht zuletzt darauf an, dass die Argumente in die breite Öffentlichkeit getragen werden, was kein Selbstläufer ist.

Manuela Glaab ist Professorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politisches System der Bundesrepublik Deutschland an der Universität Kaiserslautern-Landau.


Manuela Glaab ist Professorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politisches System der Bundesrepublik Deutschland an der Universität Kaiserslautern-Landau.
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Bild: Manuela Glaab

Was ist noch wichtig, damit Bürgerräte erfolgreich sein können?

Sie sollten nicht mit Erwartungen überfrachtet werden, was ihre Wirkung betrifft. Bürgerräte bieten zwar Raum für Grundsatzdebatten, aber sie können nicht alle Repräsentationsdefizite in der Demokratie beheben. Und ihr Auftrag muss von Anfang an klar kommuniziert werden, sonst kommt es unweigerlich zu Enttäuschungen bei den Teilnehmenden.

Meinen Sie: Allen muss klar sein, dass die Empfehlungen des Bürgerrats nicht bindend sind?

Genau, Bürgerräte sind im politischen Prozess ein sogenanntes konsultatives Beteiligungsformat. Man darf sie nicht mit Formen direkter Demokratie wie Volksentscheiden verwechseln. Wären die Empfehlungen von Bürgerräten für das Parlament bindend, würden „Losbürger“, also per Zufall ausgewählte Personen, mehr Stimmrechte erhalten als Wahlbürger. Bürgerräte sind nicht mandatiert, für andere zu entscheiden. Das ist Sache der gewählten Repräsentanten, die ein freies Mandat haben und für ihre Entscheidungen am Ende auch die politische Verantwortung tragen.

Aber geraten die Abgeordneten trotz ihres freien Mandats nicht unter einen gewissen Druck, die Vorschläge der Bürgerräte aufzugreifen?

Das muss nicht so sein. Abgeordnete nehmen ihre Verantwortung wahr, indem sie – bestmöglich beraten – ihre freien Entscheidungen treffen. Der Input von Bürgerräten kann die parlamentarische Debatte beleben. Und wenn es „Zufallsbürgern“ gelingt, sachlicher und gründlicher zu diskutieren als es in den Parlamenten gelegentlich geschieht, kann das ein Ansporn für die Abgeordneten sein, ihre Entscheidungen besser zu erklären.

Unionspolitiker wie Philipp Amthor warnen davor, dass durch Bürgerräte die repräsentative Demokratie ausgehöhlt wird.

Die Gesetzgebungsarbeit zum Thema Ernährung oder anderen komplexen Themen wird am Ende nicht durch Bürgerräte erledigt. Der Autonomieverlust durch diese Form der Bürgerbeteiligung hält sich also in Grenzen. Aber natürlich können Bürgerräte dauerhaftes und freiwilliges Engagement von Bürgerinnen und Bürgern in Parteien nicht ersetzen.

Laut den Befürwortern von Bürgerräten schafft dieses Instrument mehr Verständnis für die Arbeit von Politikern, und bietet Menschen, die sonst kaum zu Wort kämen, ein Forum. Brauchen wir angesichts von Spaltungstendenzen und einer wachsenden Politik-Skepsis dann nicht noch mehr Bürgerräte?

Beteiligungsmöglichkeiten jenseits von Wahlen, gerade auch für politikferne Bevölkerungsgruppen, sind an sich wünschenswert. Die Teilnahme hat für die Einzelnen auf jeden Fall einen Mehrwert: Sie erhalten vertiefte Informationen, sie erleben, wie man sich mit Menschen austauscht, die ganz unterschiedliche Auffassungen haben, sie erfahren, wie schwierig es ist, Kompromisse zu formulieren, in denen sich möglichst viele wiederfinden und die gleichzeitig praktikabel sind. Aber Bürgerräte können nur ein Baustein sein, der neue Beteiligungschancen bietet.

Warum ist das so – und welche anderen Bausteine braucht es noch?

Mehr Bürgerbeteiligung kann nur in einem Zusammenspiel der verschiedenen Partizipationsmöglichkeiten entstehen. Das sind neben Wahlen etwa Parteien, Bürgerinitiativen, freiwilliges Engagement oder auch direktdemokratische Entscheide in Ländern und Kommunen. Schon aufgrund der hohen Kosten – Zeit, Personal, Geld – wird man Bürgerräte nicht flächendeckend durchführen können und sollte sich gut überlegen, auf welcher Ebene und zu welchen Themen es sich lohnt. Auf kommunaler oder regionaler Ebene kann ein Bürgerrat mit seinen Empfehlungen womöglich mehr in Gang setzen, als wenn auf Bundesebene über abstrakte Themen diskutiert wird. Beispielsweise wenn es um die Quartierentwicklung in Städten oder auch um regionale Mobilitätskonzepte geht.

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