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#„Chantal im Märchenland“: Die „Fack ju Göhte“-Reihe überrascht zum ersten Mal

Chantal in Ritterrüstung
Foto: Constantin Film/Gordon Timpen, SMPSP


Mit „Chantal im Märchenland“ bekommt die „Fack ju Göhte“-Reihe ein neues Spin-off. Zumindest in Ansätzen hebt sich die Fantasy-Komödie positiv von den Vorgängern ab.

Als Jella Haase und Max von der Groeben neulich im „Let’s Dance„-Studio von RTL auftraten, um „Chantal im Märchenland“ zu bewerben, und dabei den alten frechen Witz der „Fack ju Göhte“-Reihe versprachen, konnte einem angst und bange werden. Bitte nicht noch mehr davon! Ein Rückblick: „Fack ju Göhte“ von Bora Dağtekin („Das perfekte Geheimnis„) war ein Kassenerfolg aus dem Post-Agenda-2010-Deutschland über einen Ex-Häftling (Elyas M’Bareck), der sich als Lehrer tarnt und seine Schüler mit rabiaten Mitteln diszipliniert. Sie sollen bloß nicht auf die schiefe Bahn geraten. Das heißt: womöglich Hartz-IV-Empfänger werden! Auf die war und ist deutsches Spießbürgertum wie auch diese Filmreihe bekanntlich gar nicht gut zu sprechen. Hartz-IV-Empfänger, das sind doch die, die immer nur saufen, rauchen, gammeln, schlafen und im Morast vor sich hinvegetieren. Kino und TV haben solche degradierenden Stereotype fleißig mitgeprägt.

Die „Fack ju Göhte“-Trilogie hat in ihrem Rahmenerzählungen nicht nur Bildung an sich verunglimpft, sofern sie nicht unmittelbar wirtschaftlich dienlich ist. Ihr diskriminierender Humor gegenüber sozial Schwächeren und Marginalisierten ist das Produkt einer Gesellschaft, die dauerhaft auf ‚Unproduktive‘ eindrischt, Arbeitslosigkeit als größtes Übel überhaupt betrachtet und jedes Abweichen von der sozialen Norm zu bestrafen und zähmen versucht. Über drei Teile hinweg wurde Figuren in verschiedenen Plots immer wieder eingetrichtert, sich doch einfach mal zusammenzureißen, um es in ihrer ach so perfekten Welt zu etwas zu bringen.

Nach „Fack ju Göhte“ kommt „Chantal im Märchenland“

Von den Mechanismen und Strukturen sozialer Ungerechtigkeit, Determinanten und Ausbeutungsverhältnissen wollten Boran Dağtekins Filme selten etwas wissen. Sie haben vor allem neoliberale Klischees und Feindbilder einer Mehrheitsgesellschaft bestätigt, mit, zugegeben, sehr schlagfertigen und dichten Pointen ausgeschlachtet und in Unterhaltung verwandelt.

Davon ausgehend erstaunt es kaum, dass 2024, also in einer Zeit der Debatten über Bürgergeld, Fachkräftemangel und Co., ein spätes Kino-Comeback der Reihe mit „Chantal im Märchenland“ folgt. Schließlich vergeht kaum eine Woche, in der nicht bei „Markus Lanz“ etwa nach dem Verbleib von „diesem berühmten deutschen Fleiß“ gefragt wird, als hätten solche Nonsens-Kampfbegriffe irgendetwas mit der prekären Wirklichkeit vieler Menschen, mit realen Arbeitsbedingungen zu tun, als ließe sich damit etwas lösen. Die Befürchtung lag nahe, dass ein vierter „Fack“-Film nicht groß von solchen Narrativen abweichen würde, schließlich hat die immens populäre Reihe ihren Argumenten genügend künstlerisches Futter gegeben. Millionen Menschen haben sie konsumiert und gefeiert.

Jella Haase und Gizem Emre in Jella Haase und Gizem Emre in
Chantal und Zeynep landen in einer Parallelwelt. Foto: Constantin Film/ Gordon Timpen, SMPSP

Der Traum vom Influencer-Leben

Die Befürchtungen bestätigen sich nun in den ersten Minuten. Chantal (Jella Haase) ist Kult und mittlerweile Hauptfigur. Influencerin will sie werden. Für keine Schandtat (Streiche, schräge Beauty-Tipps) ist sie sich zu schade; nur die Follower fehlen. Bedient wird damit ein Klischee, das in seiner Beobachtung richtig liegt, dass zahlreiche Jugendliche, oft aufgrund mangelnder Perspektiven, vergeblich von solchen Karrieren träumen. Was die Ursachen dafür sind? „Chantal im Märchenland“ weiß das nicht so recht. Aber er findet direkt ein abschreckendes Beispiel: Chantals arbeitslose Mutter hat einen Termin beim Amt, aber noch liegt sie schlafend auf der Couch. Ein filmisches Déjà-vu. Kurz darauf darf auch Elyas M’Bareck noch einmal vorbeischauen und schimpfen, dass die junge Frau immer noch keinen Job hat.

Wenn nun ein alter, magischer Spiegel Chantal nebst bester Freundin Zeynep (Gizem Emre) ins Märchenreich entführt, hätte man daraus wohl leicht einen weiteren Parcours stricken können, um den beiden Protagonistinnen die altbekannten Standpauken zu halten. Doch weit gefehlt! Mit „Chantal im Märchenland“ erfindet sich „Fack ju Göhte“ ein Stück weit neu. Es ist nicht nur der empathischste Teil der Reihe, sondern generell der annehmbarste Film, den Regisseur Bora Dağtekin bislang inszeniert hat. Im Vergleich ist „Chantal im Märchenland“ nämlich ein beinahe fortschrittliches Werk!

Jella Haase und Gizem Emre in Jella Haase und Gizem Emre in
Chantal und Zeynep erkunden das Märchenreich. Foto: Constantin Film/ Gordon Timpen, SMPSP

Angriff auf das Patriarchat des Zauberreichs

Die komplexen Themenfelder der Vorgänger zugunsten eines Geschlechterdiskurses in historischer Kulisse abzustreifen, ist vielleicht etwas verflachend, aber in sich stimmig. Mit allerlei vulgärem Slang, rotzigen Sprüchen, Anachronismen, Anspielungen und Seitenhieben gegen Promis, TV-Sender und Social-Media-Plattformen mischt Chantal das Zauberreich auf. Überholte Märchen-Narrative gilt es umzukrempeln. Ein hochnäsiger Kindskönig regiert dort, der seinen Hofschreiberling zwingt, Geschichten zu verfassen, die den Status quo festigen, also die Herrschaft der Männer über die Frauen bewahren.

Heilerinnen hat man als Hexen verunglimpft. Der Heiratsmarkt wird mit Zweckmäßigkeiten der Macht am Laufen gehalten. Wenn irgendwann eine junge Frau das verzauberte Schwert aus dem Stein zieht, wird dennoch ein rüpelhafter Ritter (Frederick Lau) daherkommen und die Meisterleistung für sich beanspruchen. Chantal indes will nicht zu den Prinzessinnen gehören, die warten, bis ein Prinz daherkommt, um sie aus dem Schlaf wachzuküssen. Ohnehin ist der Prinz, gespielt von Max von der Groeben, homosexuell in dieser Geschichte und braucht Hilfe, um die Liebe zu seinem Knappen frei ausleben zu können.

Prinz Bosco (Max von der Groeben) hadert mit seiner Sexualität. Foto: Constantin Film/ Gordon Timpen, SMPSP

Til Schweiger trifft „ProSieben Märchenstunde“

Als 2013 Disneys „Eiskönigin“ erschien, wurde sie gern als popkulturelle Revolution gepriesen. Endlich wurde mit den Märchenklischees über hilfsbedürftige Prinzessinnen abgerechnet! Am Ende wartete nicht mehr irgendein kühner Recke als Ehemann und Retter, sondern weibliche Solidarität als Lösung. Elf Jahre später versucht sich „Chantal im Märchenland“ ebenfalls, erzählerisch reichlich altbacken, aber nun gut, an einer solche emanzipatorischen Erzählung.

Wo „Die Eiskönigin“ oder auch ein Film wie „Barbie“ in seiner Auseinandersetzung mit dem Patriarchat und Geschlechterrollen zum Welterfolg wurden, bekommt das deutsche Publikum mit „Chantal im Märchenland“ ein Pendant vorgesetzt, das humoristisch und ästhetisch irgendwo zwischen einem psychedelischem Zuckerschock, Til Schweigers „1 1/2 Ritter“ und der „ProSieben Märchenstunde“ agiert. Bora Dağtekin hat damit keine sonderlich anregende Kunst geschaffen, aber einen, gelinde gesagt, harmlosen, bisweilen durchaus zündenden Spaß, misst man ihn an seinen bisherigen Filmen. Bei so vielen kecken Sprüchen trifft jeder fünfte auch mal sein Ziel.

Aladin (Mido Kotaini) hilft Chantal auf ihrer Mission. Foto: Constantin Film/ Gordon Timpen, SMPSP

Social-Media-Kino

In Bora Dağtekins Drehbuch frotzelt man fies, um sich am Ende doch politisch korrekt und brav zu geben. Wobei es wahrscheinlich nur zum Teil damit getan ist, diesen Klamauk als „harmlos“ abzustempeln. Man kann in „Chantal im Märchenland“ dennoch sehen, wie berechnend diese Art von Produktkino vorgeht. Wie es einerseits als Genrefilm etwas wagt, aber kein solcher sein kann, ohne sich über gewisse Referenzen an eine bereits etablierte, erfolgreiche Marke („Fack ju Göhte“) zu heften.Wie man sich an zeitgemäße und zeitgeistige Themen hängt, aber vorrangig zitiert, nachäfft, was zahllosen anderen Werken schon viel klüger gelungen ist. Es hat eigentlich wenig Gehaltvolles zu aktuellen Diskursen beizutragen, was nicht schon zigfach gesagt wurde. Aber manchmal reicht eben die Wiederholung, um lukrativ und effektiv zu sein.

Zugleich konstruiert man fast jede einzelne, in irrem Tempo montierte Sketch-Szene offensichtlich so, dass sie potentiell zum Internet-Meme und zum TikTok-Clip taugt. Im Abspann winkt dann folgerichtig die Aufforderung, Eindrücke unter einem bestimmten Hashtag im Netz zu teilen, um an einem Gewinnspiel teilzunehmen. Aufdringliche Produktplatzierungen gibt es obendrauf.

Eine gute Fee (Maria Happel) erteilt gute Ratschläge. Foto: Constantin Film/ Gordon Timpen, SMPSP

„Chantal im Märchenland“ will an die wichtigen Dinge im Leben erinnern

Sowieso erscheint „Chantal im Märchenland“ weniger Social-Media-kritisch, als man unter seiner Oberfläche zunächst vermuten könnte. Konsequent wendet sich Dağtekins Komödie gegen ein Berufs- und Privatleben, das in jedem Eindruck nur den nächsten Insta-Schnappschuss, in jeder zwischenmenschlichen Beziehung nur die nächste Kooperation wittert. In Wirklichkeit ist „Chantal“ jedoch fest mit einer solchen Online-Welt verkittet. Nicht nur über die geschilderten Erzählstrukturen und zerstreuten Sehgewohnheiten, die permanent grellen Reize, die er liefern muss, sondern auch über sein versöhnendes Finale, das sich ganz eigenartig aus der Affäre zieht.

Chantals und Zeyneps Entwicklung – schön und gut. Um (Selbst-)Liebe und Toleranz geht es da, man lernt und lehrt, dass Karriere, Geld und Kooperationen nicht die wichtigsten Elemente des Lebens sind. Freundschaft und Freiheit sind das, was zählt, erkennt Chantal. Also jene Dinge, die man bislang als so selbstverständlich gesehen hatte.

Nette Botschaften als Content und Beruf

„Chantal im Märchenland“ erzählt dennoch unmittelbar davon, wie solche Erkenntnisse in eine Berufswelt, in Online-Content umgewandelt werden. Unangepasstheit verkauft sich gut in einer angepassten Welt. Und plötzlich schnellen die Follower-Zahlen in die Höhe, der Erfolg ist endlich da. Die Internetpersona erhält ihre Reichweite und hat auf ihrer Reise gelernt, mit welchen betulichen, freundschaftlichen Botschaften sie besonders gut ankommt, wie sie eine Anhängerschaft, Publikum um sich scharen kann. Da werden sogar angestrebte Kooperationen mit großen Konzernen hinfällig! Schließlich hat man jetzt ein eigenes, individuelles Produkt, eine persönliche Marke und geschriebene Geschichte, die man feilbieten kann.

Dağtekins Film endet diesbezüglich vage, offen, ambivalent, liegt jedoch nahe an der Logik eines eher zwiespältigen Influencer-Modells, das er zuvor anzuprangern versucht. Von den Chantals, die ihre Prominenz nun daraus ziehen, ihren Zielgruppen ein paar Binsen- und Kalenderweisheiten über Freundschaft und Freiheit vorzuquasseln, damit sich alle ein wenig besser fühlen können, gibt es viele da draußen. Aber wem ist damit wobei geholfen? Was ist damit gesagt oder aufgezeigt? Vielleicht ist die Reise ins Märchenland mit ihren identitätspolitisch bemühten, progressiven Tönen in der Tat nur ein flüchtiger Wachtraum, ein kurzer, halluzinierender Ausreißer aus einer konservativen Reihe und Welt, die, ist sie wieder in der Realität gelandet, allzu schnell droht, in alte Muster zurückzufallen. Als nächstes dann „Fack ju Göhte: Das Klassentrefen“?

„Chantal im Märchenland“ läuft seit dem 28. März 2024 in den deutschen Kinos. Die „Fack ju Göhte“-Reihe ist unter anderem über Netflix sowie auf DVD und Blu-ray verfügbar.

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Von

Janick Nolting

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