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#China nutzt Amerikas Schwäche

China nutzt Amerikas Schwäche

Als Wang Yi am Donnerstagmorgen um halb neun auf ihrem Smartphone die Wechat-App öffnet, blickt sie auf den Scherbenhaufen des westlichen Freiheitsmodells. So interpretiert sie das, was jemand in dem 1 Milliarde Nutzer zählenden chinesischen Dienst gepostet hat: ein Foto der Nachrichtenagentur Reuters, das die Explosion von Leuchtmunition der Polizei in Washington zeigt, die vor dem Kapitol eine Menschenmenge erhellt. Über den Köpfen schwebt die Konföderierten-Flagge. Das Bild erinnert die Studentin Wang an den Hollywood-Film „Independence Day“, in dem Außerirdische Amerikas Symbole von Demokratie und Kapitalismus mit einem Feuerstrahl dem Erdboden gleichmachen.

Hendrik Ankenbrand

Ein anderes Foto zeigt die Kapitolpolizei, die mit Stöcken um sich schlägt. „Und ihr nennt Hongkongs Polizisten gewalttätig?“, fragt ein Nutzer und meint die Kritik von Ländern wie Deutschland, nachdem in der autonomen Sonderverwaltungszone die Regierung mit extremer Härte selbst gegen Minderjährige die Freiheitsproteste hatte niederschlagen lassen.

Eine Studienkollegin Wangs, auch sie Chinesin, schreibt: „Was passiert hier nur?“ Die Frage steht neben einem Foto aus einer Live-Sendung des Fernsehsenders „ABC“. Es zeigt eine rote Trump-Kappen tragende Menge vor dem Kapitol. Die Protestler halten eine riesige amerikanische Flagge in die Höhe. Doch auf dieser ist in der linken oberen Ecke, wo sonst 50 Sterne als Symbol der 50 Bundesstaaten prangen, die Nationalflagge Chinas aufgenäht. Die Welt, so wirkt es von der Volksrepublik aus, steht auf dem Kopf.

Kratzer auf dem Sehnsuchtsbild Amerika

Herauszufinden, was die Mehrheit in einer Milliardennation wie China denkt, ist stets schwer. Das Land ist so groß, dass sich hier fast jede These mit Stimmen belegen lässt. Da ist zum Beispiel „College Daily“, ein News-Kanal, den fast jeder chinesische Student im Ausland abonniert hat. Dass Amerika, „dieser selbst erklärte Advokat der Meinungsfreiheit“, mit dem Twitter-Bann Donald Trumps „dem eigenen Präsidenten die Meinungsfreiheit entziehe“, sei „furchterregend“, heißt es dort. Doch ist kaum festzustellen, ob der Befund, im Westen kontrolliere das Silicon Valley die Meinung und in China eben der Staat, der breiten Meinung unter den rund 700.000 Auslandsstudenten entspricht.

Unbestreitbar ist jedoch, dass der Sturm auf die amerikanische Legislative, initiiert von der Rhetorik des Präsidenten, unter vielen Chinesen dem Bild Amerikas als Sehnsuchtsort schwere Kratzer zugefügt hat. Bereits die Proteste der „Black Lives Matter“-Bewegung haben bei jungen chinesischen Akademikern den Eindruck geprägt, dass in den Vereinigten Staaten jeder überall jederzeit Opfer von Gewalt werden kann.

Peking nutzt den Moment der Schwäche seines Rivalen genüsslich aus. Schon immer hat China mit Bewunderung, aber auch Herablassung auf die Vereinigten Staaten geschaut, die seit ihrer Gründung vor rund 250 Jahren zeitlebens eng mit dem Land in Fernost verbunden gewesen sind. Umgekehrt hat aber Amerika in der Tausende Jahre alten Geschichte des Reichs der Mitte nur eine kleinere Rolle gespielt. Nun scheint es nach den Bildern, in denen in Washington Abgeordnete, Senatoren und Vizepräsident vor dem Mob flüchten, ein Leichtes, das propagierte Bild einer barbarischen und kurzsichtigen amerikanischen Nation zu bestätigen – und die eigene Diktatur zu rechtfertigen.

Entscheidung zwischen zwei Großmächten

Wirtschaftlich versucht Peking Pflöcke einzurammen: Am Samstag erließ das Handelsministerium mit sofortiger Wirkung neue Regeln, nach denen chinesische und ausländische Unternehmen bestraft werden, wenn diese sich amerikanischen Sanktionen gegen China unterwerfen. Das zielt auf die schwarze Liste, auf die der scheidende amerikanische Präsident etliche chinesische Technologiekonzerne und Privatpersonen gesetzt hat – auch mit der Begründung von Menschenrechtsverletzungen in Hongkong und der muslimisch geprägten Region Xinjiang. Auch deutsche Unternehmen könnten dadurch bald vor der Wahl stehen, sich zwischen den Großmächten entscheiden zu müssen. Dass dabei Amerika gewinnt, ist nicht mehr ausgemacht angesichts des Investitionsabkommens mit China, das die Europäische Union unter Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel gegen den Willen Washingtons durchgedrückt hat.

Zwar halten es viele für fraglich, ob Peking tatsächlich Unternehmen wie den Münchner Halbleiterhersteller Infineon bestraft, sollte dieser von Amerika sanktionierte Unternehmen wie das chinesische Huawei nicht mehr beliefern. Doch sei davon auszugehen, dass die chinesische Führung dem künftigen amerikanischen Präsidenten Joe Biden schon einmal zeigen wolle, dass er nicht so mit dem Rivalen umspringen könne wie in den vergangenen 4 Jahren.

Chinas Präsident Xi Jinping fühlt sich offenbar obenauf. Als er am Sonntag den nationalen „Tag der Polizisten“ feierte, rief er die rund 2 Millionen Beamten auf, „einen noch größeren Beitrag zur Sicherstellung der Volkszufriedenheit, nationalen Sicherheit und der sozialen Stabilität“ zu leisten. Mehr und mehr werde China in der Welt „als eines der sichersten Länder“ betrachtet, kommentiert die Nachrichtenagentur „Xinhua“ – ganz im Gegensatz zum Westen, der sich in innerpolitischen Grabenkämpfen verliere und die Pandemie nicht in den Griff kriege. Allerdings steigt auch in China nach einem Corona-Ausbruch in der Provinz Hebei mit Hunderten neuer Fälle wieder die Angst vor einer neuen Ansteckungswelle.

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