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#Coronatote: 80 % von irgendwas – eine Meldung mit zwei Seiten [Gesundheits-Check]

Coronatote: 80 % von irgendwas – eine Meldung mit zwei Seiten [Gesundheits-Check]
Die WELT hat sich vorgenommen, der FDP in Sachen zu Corona zur Seite zu stehen: Alles halb so wild und Schluss mit den ganzen Einschränkungen. Vermutlich träumt die FDP wie die Freien Wähler davon, nach englischem Vorbild mit viel Tamtam einen „freedom day“ zu verkünden. Gerne wird dazu auch mal das RKI abgewatscht. Der FDP-Chefepidemiologe Wolfgang Kubicki war auch jetzt nach einer WELT-Schlagzeile sofort am Start: Das sei „ein weiterer Schlag für die Glaubwürdigkeit” des RKI.

Worum geht es? Bekanntlich ist die Datenlage zu manchen Sachverhalten rund um Corona nicht besonders gut. Das soll man kritisieren, das darf man skandalisieren, das kann man, die Querdenker führen es vor, mit einem Schuss Paranoia, für den Teil eines großen Plans halten. Einer dieser Datenschwachpunkte sind die Corona-Toten. Den Toten steht meist nicht auf der Stirn geschrieben, woran sie gestorben sind, egal ob es um Rauchertote, Herzinfarkte oder eben Corona geht. Die dokumentierte Todesursache ist Ergebnis der ärztlichen Leichenschau. Das reicht bei Corona zumindest für halbwegs brauchbare Statistiken. Wie gesagt, sie könnten besser sein. Nach den Daten, die die Gesundheitsämter auf der Basis ärztlichen Urteils dem RKI übermitteln, sind ca. 80 % der gemeldeten Corona-Toten „an“ und nicht nur „mit“ Corona gestorben. Das passt zu den Daten der Todesursachenstatistik, die das Statistische Bundesamt veröffentlicht, oder zu den neueren pathologischen Untersuchungen, auch da ist jeweils von ca. 80 % Toten durch Corona die Rede.

Ideologische Querdenker sind davon natürlich nicht beeindruckt. Für sie sind die Corona-Toten grundsätzlich erfunden oder umetikettierte Grippetote oder was auch immer. Vor ein paar Tagen hat nun auch die WELT das Stück „Es gibt gar nicht so viele Corona-Tote“ neu inszeniert – mit den 80 % auf der anderen Seite. „Corona bei 80 Prozent der offiziellen Covid-Toten wohl nicht Todesursache“ – so die Schlagzeile, die für erwartbare Aufregung gesorgt hat. Die WELT hat sich dabei auf den Chef des Berliner IGES-Instituts Bertram Häussler berufen. Der Rest der Geschichte steht hinter der Paywall und liest sich weniger aufregend. Häussler hatte schon im Juli festgestellt, dass zeitgleich zum Rückgang der Corona-Sterbefallzahlen der Anteil der Fälle zunimmt, bei denen die Infektionsmeldung schon länger zurückliegt und bei denen man daher prüfen sollte, ob sie nicht an etwas anderem als Corona gestorben sind.

Allerdings, und das hat die WELT in ihrer Schlagzeile unterschlagen – es war sozusagen eine Unterschlagzeile -, gilt das eben erst seit Sommer bei sehr geringen absoluten Fallzahlen. Häussler hat sich zwischenzeitlich von der Schlagzeile der WELT distanziert, die sei nicht von ihm, auf der Internetseite des IGES-Instituts kann man dazu einen längeren Kommentar nachlesen. Aber die Schlagzeile ist nun mal in der Welt, zur Freude der Querdenker wie Kubickis gleichermaßen.

In der Diskussion darum, ob die WELT Häussler bewusst verkürzt interpretiert hat oder nur zu dumm war, sein Argument in einer Schlagzeile auf den Punkt zu bringen, geht leider unter, dass die ganze Geschichte zwei sehr interessante Seiten hat.

Zum einen weist Häussler völlig zu Recht darauf hin, dass man sich die jetzt so wenigen Sterbefälle genauer ansehen sollte. Kleine Fallzahlen leiden mitunter besonders unter systematischen Verzerrungen. Daher sollte man dem Anstieg des Anteils von Sterbefällen, bei denen die Infektionsmeldung zeitlich schon länger zurückliegt, in der Tat nachgehen. Das kann z.B. mit veränderten Zeiträumen zwischen Infektion und Tod bei jüngeren Erkrankten zu tun haben, mit Meldeverzügen oder vielleicht auch damit, dass mit dem Rückgang der Sterbefälle insgesamt sozusagen „Fehlmeldungsinseln“ aus dem Meer der Sterbefälle auftauchen, die vorher unter der Oberfläche verdeckt waren und statistisch auch keine Rolle gespielt haben.

Zum anderen sagt Häussler auch, dass derzeit täglich ca. 100 Todesfälle unter den Genesenen zu erwarten seien. Das ist eine interessante Zahl. Auf dem Tiefpunkt der Sterbezahlstatistik des Sommers, in der ersten Augusthälfte, gab es nämlich täglich weniger als 20 gemeldete Corona-Sterbefälle. Das deutet darauf hin, dass nicht alle Toten mit einem positiven PCR-Test umstandslos als Corona-Tote gemeldet werden, nicht einmal als „mit“-Fälle. Vermutlich kommen auch hier zu große Zeitabstände zwischen Infektion bzw. Erkrankung und Tod zum Tragen. Dann wird das – vernünftigerweise – nicht mehr nachgemeldet. Allerdings läuft das bisher ohne definierte Kriterien.

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