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#„Da sollte sich der Staat nicht einmischen“

„Da sollte sich der Staat nicht einmischen“

Ein einzelner Satz in einem 25 Seiten langen Strategiepapier der chinesischen Regierung zur Frauen- und Familienförderung sorgt in China für Aufregung. „Nicht medizinisch begründete Abtreibungen sollen verringert werden“, heißt es in den Leitlinien für die Jahre 2021 bis 2030. Auf welche Weise dieses Ziel erreicht werden soll und warum, wird in der Verordnung nicht erklärt. Auf den ersten Blick unterscheidet sich die Vorgabe auch kaum von der bisherigen. Darin heißt es: „Ungewollte Schwangerschaften und Abtreibungen ­sollen verringert werden.“

Friederike Böge

Politische Korrespondentin für China, Nordkorea und die Mongolei.

Trotzdem hat die neue Verordnung viele junge Frauen in China verunsichert. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen ist es die chinesische Bevölkerung gewohnt, zwischen den Zeilen zu lesen. Es kommt nicht selten vor, dass ein unschuldig daherkommender Satz sich später als Vorbote weitreichender Maßnahmen entpuppt. Zum anderen ist das Misstrauen gegenüber staatlich verordneter Familienplanung aufgrund schmerzhafter Erfahrungen groß. Zwischen 1979 und 2015 wurden Zwangsabtreibungen ebenso wie Zwangssterilisierungen als Mittel zur Durchsetzung der Ein-Kind-Politik eingesetzt, mit erheblichen Folgen für die körperliche und mentale Gesundheit unzähliger Frauen.

Ein Mittel, um die Drei-Kind-Politik durchzusetzen?

Feministinnen in China mutmaßen nun, dass die geplante Begrenzung von Abtreibungen dem umgekehrten Ziel ­dienen soll, wonach Frauen gemäß der neuen Drei-Kind-Politik möglichst zwei bis drei Kinder bekommen sollen. Viele junge Chinesinnen sind empört darüber, dass der Staat ihnen, wie schon ihren Müttern, vorschreiben will, wie sie ihr Familienleben gestalten sollen. Zumal die Regierung den nunmehr erwünschten Babyboom nicht nur mit unterstützenden Maßnahmen für junge Familien forcieren will, sondern auch mit einem konservativen Familienbild.

„Wir müssen die Einschränkung der Abtreibungen im Kontext anderer aktueller Maßnahmen sehen“, heißt es in einem von vielen Beiträgen zu dem Thema im sozialen Netzwerk Weibo. „Ob man heiratet oder nicht, sich scheiden lässt oder nicht, Kinder bekommt oder nicht, sollte schließlich eine persönliche Entscheidung sein, in die sich der Staat nicht einmischen sollte.“ Zu den Maßnahmen, die in eine ähnliche Richtung weisen, zählt die Autorin mit dem Usernamen OnlyforQiqi etwa die seit Januar geltende „Abkühlungsfrist“ für Scheidungen von 30 Tagen.

Nach offiziellen Angaben ist die Zahl der Scheidungen seither um 70 Prozent zurückgegangen. Von außen betrachtet, mag die Frist sinnvoll erscheinen, in Deutschland gilt immerhin ein ganzes Trennungsjahr als Voraussetzung. Doch in China argumentieren viele Frauen, dass die Übergangsfrist Opfer von häuslicher Gewalt ihrem Peiniger aus­liefert. Hinter der Kritik steckt aber wohl auch eine generelle Aversion gegen staatliche Eingriffe in das Familienleben, nachdem die Kommunistische Partei das jahrzehntelang in drastischer Weise betrieben hat – bis hin zu der Entscheidung, wen man heiraten durfte.

Andere Stimmen halten das Ziel, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche zu verringern, durchaus für sinnvoll und geboten. Dazu muss man wissen, dass in China wegen der Ein-Kind-Politik jahrzehntelang Millionen weibliche Föten abgetrieben wurden, weil Familien einen Sohn haben wollten. Das hat dazu geführt, dass auf 100 junge Frauen im Alter von 21 Jahren derzeit 118 Männer kommen, von denen es viele schwer haben werden zu heiraten. Zwar ist in China die Bestimmung des Geschlechts per Ultraschall verboten. Eine Abtreibung aufgrund des Geschlechts steht unter Strafe, und nach der 14. Schwangerschaftswoche ist eine behördliche Genehmigung für einen Schwangerschaftsabbruch erforderlich. Die Hürden dafür scheinen aber bisher nicht sehr hoch zu sein.

Abtreibung galt in China lange als gewöhnliches Mittel der Geburtenkontrolle. Werbung für solche Eingriffe war noch vor wenigen Jahren allgegenwärtig. Laut offizieller Statistik wurden in China in den Jahren 2014 bis 2017 jährlich etwa neun Millionen Föten abgetrieben. Ein Grund dafür ist fehlender Sexualunterricht an den Schulen. Staatliche Aufklärungskampagnen über Verhütungsmittel konzentrierten sich bis vor Kurzem nur auf verheiratete Paare. Hinzu kommt eine sehr verbreitete Skepsis gegenüber der Anti-Baby-Pille und ihren Nebenwirkungen. Eine moralische Debatte über das Recht des ungeborenen Lebens gibt es in China dagegen ebenso wenig wie über mögliche psychische Folgen einer Abtreibung.

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