#Darf einer so wie ich verschieden malen?
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„Darf einer so wie ich verschieden malen?“
Das Porträt war für Gabriele Münter „die kühnste und schwerste, die geistigste, die äußerste Aufgabe für den Künstler“. Wie meisterhaft die Mitbegründerin des „Blauen Reiters“ diese Aufgabe bewältigt hat, ist jetzt im Hamburger Bucerius Kunst Forum zu besichtigen. Dort widmet sich eine Ausstellung den „Menschenbildern“, wie Münter ihre Porträts nannte. Für die Künstlerin spielte dieses Sujet in ihrer Laufbahn eine zentrale Rolle: „Ich kann berichten, daß ich schon als Kind viel mit dem Bleistift hantiert habe, und zwar zeichnete ich immer nur Gesichter. Andere Kinder ‚malten Geschichten‘. Ich versuchte nicht, Ereignisse und Handlungen darzustellen. Einzig die bleibende Erscheinung fesselte mich am Menschen – die geprägte Form, in der sich sein Wesen ausspricht.“
In Hamburg sind rund hundert Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafiken und Fotografien aus den Jahren von 1900 bis 1940 zu sehen. Die Ausstellung gliedert sich in sechs jeweils chronologisch aufgebaute Abschnitte: Selbstbildnisse, Porträts, Figurenbildnisse, Menschenbilder in Zeichnungen, Kinderbildnisse und Gruppenporträts. „Darf einer so wie ich verschieden malen?“, schrieb Münter in einem Brief an ihren Lebensgefährten Wassily Kandinsky. Glücklicherweise hat sie die Frage, mit der sie ihre eigene stilistische Flexibilität problematisierte, bejaht. Die technische und formale Vielfalt, die sie im scheinbar engen Genre des Porträts entfaltet, ist beeindruckend.
Kandinsky am Teetisch wirkt abweisend
Mit Gabriele Münters Namen verbindet man vor allem die expressiven und farbstarken Gemälde aus den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Herausragende Beispiele aus diesem Teil des Werkes in der Hamburger Schau sind das Bildnis der Malerkollegin Marianne von Werefkin, der abwesend-abweisende „Kandinsky am Teetisch“ oder das in zwei Versionen präsentierte „Mädchen mit roter Schleife“, dessen ernster, leicht melancholischer Blick mit der lebhaften Farbigkeit und dem energischen Pinselstrich des Bildes eigentümlich kontrastiert. Der Hintergrund der anthrazitfarbenen und ultramarinblauen Stellwände, mit denen die Kuratorin Kathrin Baumstark die Ausstellung gegliedert hat, lässt die Gemälde leuchten. Nichts von expressionistischer Glut hat dagegen ein ebenfalls meisterhaftes Doppelporträt, das im unterkühlten Stil der Neuen Sachlichkeit gehalten ist. Dessen anheimelnder Titel „Röschen“ passt nicht recht: Den Betrachter blicken nicht nur die eisblauen Augen einer jungen Frau an – die Katze auf ihrer Schulter fixiert ihn mit ebenso kaltem Blick.
Als vor dem Ersten Weltkrieg viele europäische Künstler in der „primitiven“ Kunst exotischer Länder neue kreative Impulse suchten, entdeckte Gabriele Münter die bayerische Hinterglasmalerei als volkstümliche Inspirationsquelle, die sie auch ihren expressionistischen Mitstreitern nahebrachte. Sie ließ sich in dieser alten Maltechnik ausbilden, arbeitete in ihr und übertrug ihre Flächigkeit, die ausgeprägten Konturlinien und farblichen Kontraste auch auf andere Werke. Ihren Bildern schlafender Kinder oder den Mutter-Kind-Porträts verleiht dieser Stil durch die starken umschließenden Konturen die Anmutung von Nähe und Geborgenheit und dadurch eine besondere Innigkeit.
Eine Entdeckung dürfte für viele Besucher Münters grafisches Werk sein, dem die Ausstellung großen Raum gibt. Die Zeichnungen, die für Münter keine Vorstufen, sondern eigenständige Werke waren, stehen mit ihrer äußerst sparsamen Linienführung in maximalem Kontrast zur Farbkraft der Gemälde. Auf Blättern mit Titeln wie „Rauchend“, „Kokett“ oder „Gelehrter“ sind Charaktere und Stimmungen mit wenigen Strichen präzise eingefangen. Münters Holz- und Farblinolschnitte zeigen von Anfang an eine druckgrafische Könnerschaft, die von anderen Mitgliedern des Blauen Reiters kaum erreicht wurde.
Zwei Jahre lang tourte sie durch Missouri, Arkansas und Texas
Eine besondere Rolle in Münters Œuvre spielt die Fotografie. In der Ausstellung sind Aufnahmen zu sehen, die sie mit Anfang zwanzig auf einer Amerikareise machte. Von September 1898 bis Oktober 1900 besuchte sie gemeinsam mit ihrer Schwester Verwandte in Missouri, Arkansas und Texas. Die Fotos, aufgenommen mit einer handlichen Box-Kamera, zeigen Szenen des ländlichen und kleinstädtischen Alltags: spielende Kinder auf der Straße, eine Farmerin an der Wasserpumpe, junge Frauen im Sonntagsstaat, ein Marshal zu Pferd, ein Picknick auf der Wiese. Obwohl die Aufnahmen ein beachtliches Gespür für Motive, Bildausschnitte und Situationen zeigen, maß Münter ihren Fotos zeit ihres Lebens keine besondere Bedeutung bei. Sie betrachtete diese Arbeiten nicht als eigenständige Kunstwerke und verwendete sie auch nur selten als direkte Vorlagen für Grafiken oder Gemälde. „Meine Sache ist das Sehen, das Malen und Zeichnen, nicht das Reden“, schrieb Münter 1952. Es war das Sehen, zu dessen Ausbildung ihr die Fotografie diente.
Gabriele Münter. Menschenbilder. Im Bucerius Kunst Forum Hamburg; bis 21. Mai. Der Katalog kostet 29,90 Euro.
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