Nachrichten

#Das Lächeln von Wlada

„Das Lächeln von Wlada“

Seit einiger Zeit halte ich inne, wenn ich Porträts lächelnder Menschen auf Facebook begegne. Es reicht, einen ukrainischen Namen daneben zu sehen, um zu befürchten, dass diese Menschen nicht mehr leben. Gefeiert, gefallen.

Ich sehe diese beiden strahlenden Gesichter, Mutter und Tochter, auf der Facebook-Seite eines Bekannten. Sie fesseln mich sofort, holen mich aus einem Loch, als würden sie etwas zurechtrücken. Dann untersuche ich Bilder eines Raketeneinschlags auf einer Kreuzung im Zentrum von Kiew. Das Loch in der Erde verschwindet am nächsten Tag, ist mit frischem Asphalt überdeckt und bekommt den Namen „schwarzes Quadrat“.

Ich streife durch Fotos von Zerstörungen und Gefechten, von befreiten Orten, von Häusern mit zerschossenem Inneren und Menschen, die schutzlos der Gewalt ausgeliefert sind.

Als wären sie von Liebe umgeben

Diese Mutter und Tochter sind aus dem befreiten Isjum, elegante Mäntel tragend. Eine Künstlerfamilie? Ich blättere durch die Fotos einer Hilfsinitiative – und irgendwie passen diese beiden überhaupt nicht zu den niedergeschlagenen, armen Menschen, die Lebensmittel abholen oder in Haufen warmer Sachen wühlen. Und noch weniger zur Umgebung mit ihren zerstörten Schulen, dem Krankenhaus ohne Strom und, ja, dem Massengrab.

Sie sind aber von dort und wirken so glücklich, als wären sie allzeit von Liebe und Wärme umgeben. Dabei haben sie die Monate der Besatzung über in ihrem Haus verbracht, kaum den Keller verlassen und gerade etwas Essen erhalten. Ich fragte mich, wie es zu diesem Foto kam und wer sie sind. Das Foto erzählt etwas von der spontanen, sich selbst formenden und souveränen Freiwilligenbewegung in der Ukraine, die auch diese Menschen erreicht hat.

Der Fotograf, Alex, ist mein Bekannter – Literaturveranstaltungen sind eigentlich sein Metier. Nun fährt er durch den Krieg. Er meldete sich freiwillig bei der „Territorialen Verteidigung“, rief mich in den ersten Tagen an mit alarmierenden Berichten über den Terror der russischen Armee in Tschernobyl und an Staudämmen. Als ich ihn nach diesem Foto fragte, sagte er mir, ich solle mich an seine Freundin Claudia wenden, ihr war er nach Isjum gefolgt.

Sie fuhr nach Isjum, um mit ihrer Kriegserfahrung zu helfen

Ich rief Claudia an und staunte: Sie ist eine ehemalige Schülerin meiner Mutter. In den ersten Tagen geriet sie unter Besatzung in Irpin, und dann floh sie mit der Familie nach Kiew. Als sie Wochen später nach Irpin zurückkam, war ihr Haus zwar unversehrt, aber drum herum herrschte pure Zerstörung. So fing sie an, Kleidung und Essen zu verteilen, mit einer lokalen Organisation.

Als nun vor einigen Wochen Isjum befreit wurde, sah sie „wieder die gleichen Bilder wie bei uns“, und nach wenigen Tagen fuhr eine ganze Karawane von Nachbarn aus Irpin dorthin, von ihr organisiert. Es war für sie selbstverständlich: Diese Menschen hatten Ähnliches erlebt und fuhren nach Isjum, um mit ihrer Kriegserfahrung zu helfen. Ich fragte sie, was sie vor dem Krieg gemacht hat, und sie sagte „Kinder“. Sie hat fünf.

Auch Claudia wusste nichts Genaues über Mutter und Tochter und erzählte mir von Toma, die sie einmal auf einem Spielplatz in Kiew kennengelernt hatte. Toma hat Claudias Aufruf auf Facebook gelesen und hat sich ihr angeschlossen. Auch sie sagte mir: „Ich sah diese Bilder aus Isjum und wollte dorthin.“ Toma arbeitet in einem therapeutischen Zentrum für Kinder mit Besonderheiten und kümmert sich schon seit 2014 um Binnenflüchtlinge, Witwen und traumatisierte Kinder. Sie war es, die diese Familie „entdeckt“ hat: Eines Tages hat eine alte Frau von ihr Lebensmittel bekommen und um Cornflakes für ihre Enkelin gebeten, die zu Hause sitze und nie nach draußen gehe. Niemals. Toma machte sich sofort dahin auf und fand ein kleines, gut gepflegtes Haus mit Solarpanels.

Alle waren zierlich und herzlich: die Mutter, der Vater und Wlada, das Mädchen. Die Mutter verdiente vor dem Krieg ihr Geld in einem Call-Center für Sushi-Verkauf. Während mehrerer Monate der Besatzung ging nur die Großmutter für Besorgungen nach draußen, alle anderen hatten Angst vor Luftangriffen und vor Kadyrows tschetschenischen Einheiten. Wlada, zehn Jahre alt, war so lange im Keller gewesen, dass sie sich gar nicht mehr traute, das Haus zu verlassen. Toma sah zuerst Wladas bunte Fingernägel, fragte sie nach Lack und Farben. Und dann sah sie Wladas Bilder. Bald tranken sie alle zusammen Tee und sprachen über Luftangriffe, über eine Bombe, die in den Brunnen gefallen war, und dann über das Malen, denn Wladas Malerei steht im Mittelpunkt des Familienlebens. Sie hat sogar einen Wettbewerb gewonnen, vor dem Krieg, mit einer Winterlandschaft. Dann ging das Mädchen nach draußen in den Herbst hinein. Und Alex hat sie mit ihrer Mutter fotografiert, und sie strahlten. Aber der Krieg ist für niemanden von ihnen zu Ende.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!