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#Das Trojanische Pferd unserer Zeit

Das Trojanische Pferd unserer Zeit

Kürzlich konnte man im „Tatort“ sehen, wie die Polizei eine Frau mit Abhörtechnik im Ausschnitt ausstattete, um so an Beweise gegen ihren Mann und die Mafia zu kommen. Derlei kommt natürlich immer gut, zumal im Fernsehen. Aber hätte es nicht auch ein gängiges Smartphone getan, unauffällig in der Küche abgelegt, die Aufnahmetaste gedrückt?

Timo Frasch

Durchaus möglich. Denn das Smartphone ist das Trojanische Pferd unserer Zeit. Wegen seiner Alltäglichkeit wirkt es harmlos, und weil es harmlos wirkt und darüber hinaus handlich ist, kann es sich jederzeit zur Waffe verwandeln, mit der man zum Innersten eines Menschen vordringen kann.

Es ist oft beschrieben worden, was wir durch die ganz normale Benutzung eines Smartphones über uns und unsere Wege preisgeben; das Smartphone richtet sich dann gegen den Benutzer selbst. Hier aber soll betrachtet werden, wie dieser sein Gerät gegen andere richten kann, und zwar mittels der Aufnahmefunktion, etwa durch die Benutzung der Kamera.

Das Smartphone wird fast wie ein Körperteil behandelt

Wer früher eine bei sich hatte, fiel auf; die Dinger waren einfach viel zu groß. Spontan filmen ging nicht, diskret erst recht nicht. Die Frau, die zuletzt Peter Altmaier im Bundestag abgepasst hat, um ihn filmenderweise zur Rede zu stellen und zu beschimpfen, wäre früher mit einer dicken VHS-Bertha garantiert nicht am Sicherheitspersonal vorbeigekommen. Das Smartphone hingegen wird inzwischen fast wie ein Körperteil behandelt, wie Hände oder Füße. Die muss man auch nicht am Eingang abgeben, obwohl man damit andere verprügeln kann.

Kann jederzeit mithören: das Smartphone. Abgeben muss man es nur selten, zum Beispiel bei der Abi-Prüfung.


Kann jederzeit mithören: das Smartphone. Abgeben muss man es nur selten, zum Beispiel bei der Abi-Prüfung.
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Bild: Picture-Alliance

Die Frau im Bundestag ist ein Hinweis darauf, dass längst Normalität ist, was Dürrenmatt das „Beobachten des Beobachters der Beobachter“ genannt hat: Sie selbst wurde beim Filmen gefilmt, von einem Mann, der wahrscheinlich auch gefilmt wurde. Das permanente Festhalten von Momenten ist in Wahrheit deren Vernichtung. Rockbands können davon ein Lied singen, wenn sie statt wie früher in ein Meer von brennenden Feuerzeugen in das kalte Licht der zum Filmen gezückten Smartphones blicken. Kate Moss hat jüngst auf die Frage, was sie besonders vermisse, geantwortet: die Neunziger, weil da noch nicht jeder ein Fotohandy bei sich hatte.

Aber auch darum soll es hier nicht zuvorderst gehen, sondern: um die bisher kaum beachtete und zu wenig problematisierte akustische Aufnahmefunktion des Smartphones. Früher hatte kaum jemand ein Diktiergerät, heute jeder. Bei den alten Geräten war der Speicherplatz sehr limitiert; schon deswegen ließ man sie nicht mal einfach auf Verdacht mitlaufen. Bei Smartphones gibt es dieses Problem nicht.

Es sind allerlei Motive denkbar

Für Journalisten ist das von Vorteil. Sie können jede Pressekonferenz mitschneiden, sogar komplette Parteitage. Sie sind so in der Lage, exakt zu zitieren – was für Politiker nicht unbedingt von Vorteil sein muss. Immerhin wissen diese allein schon durch die Präsenz der nach wie vor sehr auffälligen Fernsehkameras, dass sie sich in einer Situation befinden, in der jedes Wort festgehalten und im Zweifel auf die Goldwaage gelegt wird.

Problematischer ist es, wenn Gesprächspartner nicht davon ausgehen, dass das, was sie zum Besten geben, aufgezeichnet wird. Bei einem Vorstellungsgespräch zum Beispiel. Mit Hilfe des ganz leicht aus der Hosentasche ragenden Smartphones ist das kein Problem. Auch, weil bisher komplett die Sensibilität für diese Gefahr fehlt.

Doch warum sollte jemand ein Vorstellungsgespräch aufzeichnen wollen? Das Beratungsgespräch bei einer Bank? Die Beschwerde beim Filialleiter eines Supermarkts, dass zu wenige Kassen geöffnet haben? Es sind dafür allerlei Motive denkbar, weniger lautere und lauterere. Vor allem aber: moderne.

Nicht erwischen lassen

Als weiterführende Lektüre taugt wieder einmal Carl Schmitt. Es gibt von ihm eine hübsche Persiflage auf den modernen Menschen, „Die Buribunken“. Jeder Angehörige dieser breitmäuligen Spezies ist dazu angehalten, in jeder Sekunde seines Lebens Tagebuch über wiederum jede Sekunde seines Lebens zu führen, und sei es darüber, dass ihm nichts mehr einfällt, was er noch ins Tagebuch schreiben könnte. Durch permanente Selbstdokumentation setzt sich der Buribunke sein eigenes Denkmal und führt so das Leben – verstanden als Erleben – ad absurdum.

Schade, dass es zu Schmitts Zeiten noch keine Influencer gab – die machen nämlich nichts anderes, nur dass sie vor allem filmen und fotografieren statt zu schreiben. Die Schreiber freilich gibt es auch noch, in der Corona-Krise sogar mehr denn je. Leidtragende sind Verlagslektoren und Literaturkritiker. Sie bekommen im Moment bergeweise Manuskripte von Leuten, die ein so sentimentales Verhältnis zu ihrem eigenen Leben haben, dass sie nicht nur jede Kippe, die sie mal geraucht haben, für Haus-der-Geschichte-tauglich halten, sondern auch jedes Wort, das sie selbst oder andere in ihrer Gegenwart sagen. Aufnahmegeräte können da sehr nützlich sein.

Der durch die Möglichkeiten des Internets beförderte Drang zur Selbstdokumentation korrespondiert dabei mit einem Authentizitätskult in der Literatur, für den Jan Ove Knausgård vielleicht das bekannteste Beispiel ist. Welch ein Glück also! Man muss sich heute als Möchtegernliterat nicht mehr in Kneipen setzen, um verstohlen den Sound der Gosse mitzustenografieren, sondern man legt einfach das Smartphone auf den Tresen und tippt das Ganze später eins zu eins ab. Wenn man dabei eine gute Kneipe erwischt, vielleicht auch einen Gesprächspartner, der redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, dann besteht durchaus die Chance, dass man danach als „der Jörg Fauser des 21. Jahrhunderts“ geadelt wird.

Man muss nur aufpassen, dass man beim Mitschneiden nicht erwischt wird. Gerade in Kneipen empfiehlt es sich daher dringend, das Display durch ein Etui zu verbergen, das so konventionell sein sollte, dass es niemand genauer unter die Lupe nehmen will. Sonst kann die Lage so authentisch werden, dass die anderen Gäste ihre Smartphones zum Filmen zücken.

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